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# Über Asiaticus: Adolphi 2007: Asiaticus, China 1937 (Teil 3)

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UTOPIE kreativ, Berlin, Heft 200 (Juni 2007), S. 513–527.

## Die Vorahnung der Weltkriegskonstellation

Und Asiaticus bleibt bei der klaren Analyse der innerchinesischen Kräftekonstellationen nicht stehen. Es mag ja mancher mit dem Pathos seiner Texte ein paar Schwierigkeiten haben – an der sicheren Vorahnung der späteren Weltkriegskonstellation ändert das gar nichts.

»Und es gibt«, schreibt er im schon zitierten Aufsatz vom Oktober 1936, »auch keine andere Wahl für China als den Kampf auf Tod und Leben um seine Existenz. Chinas Kampf um seine nationale Existenz gegenüber dem Imperialismus Japans ist ein heroischer Kampf auf vorgeschobenem Posten im Weltkampf gegen die fascistische Kriegs- und Eroberungspolitik.«

Am 26. November 1936 erscheint in der Neuen Weltbühne ein Artikel von Asiaticus, der mit der Orts- und Zeitangabe »Shanghai, im November« versehen ist und in dem er das Wesen des im Geheimen ausgehandelten Antikomintern-Paktes, den er im Frühjahr 1937 auf die eingangs beschriebene Weise als »Nazi-Nippon-Allianz« charakterisieren wird, herausarbeitet, ohne diesen Pakt doch schon zu kennen oder gar zu wissen, daß er am 25. November, also einen Tag vor dem Erscheinen seines Artikels, unterzeichnet sein wird. Von der japanischen Forderung an Tschiang Kai-schek ist da die Rede, einen Pakt abzuschließen, mit dem die chinesische Regierung »im Gebiet von Nanking (Nanjing), Shanghai, Hankau (Hankou), Kanton (Guangzhou) und Hongkong (Xianggang) (…) den Grundsatz der gemeinsamen sino-japanischen Verteidigung gegenüber der ›roten Invasion eines dritten Landes‹ anerkennen« soll. Ein »ständiges Militärbündnis« soll das werden, das »der japanischen Flotte die Befestigung der chinesischen Küste und d
er japanischen Luftflotte die Errichtung von Aerodromen und Luftlinien innerhalb Chinas gestattet – alles zum Schutz gegen die drohende ›rote Invasion‹« – und alles, so stellt Asiaticus klar, »im Bereich der englischen Vormachtstelllung.« [S. 523]

»Dieser pfiffige ›Antikommunistenpakt‹«, fährt er fort, »der im Namen einer ›roten Invasionsgefahr‹ den Sprung der japanischen Seeflotte auf die Zone Shanghai–Hongkong–Singapore vorbereitet, ist ein Witz, eine Verhöhnung Englands« … und dann folgt ein Gedanke, der beim Erscheinen des Artikels schon überholt ist: … »wie sie sich Ribbentrop in Europa heute noch nicht leisten kann.« Ribbentrop leistet sich: Am 25. November ist der »Antikommunistenpakt« – der Antikominternpakt – mit seiner weltweiten Stoßrichtung Realität.

Im Januar 1937 setzt sich Asiaticus mit den Konsequenzen des Paktes für die deutsch-chinesischen Beziehungen auseinander. Der bisherige Tauschhandel – deutsche Maschinen und Kriegsmaterial gegen chinesische Rohstoffe – werde ganz zwangsläufig zusammenbrechen müssen, Japan werde die Monopolisierung des chinesischen Marktes anstreben, habe seinerseits keinerlei Rohstoffe, die es nach Deutschland liefern könne, und Deutschland seinerseits werde seinen Markt kaum für japanische Produkte öffnen. Deutschland »ruiniert seinen Handel mit China, damit Japan kriegsfähig wird und den europäischen Handel aus Ostasien verdrängen kann.« Dies sei nichts anderes als »Handels-Harakiri«.

Ein wenig später – im Februar 1937, zwei Monate also, bevor sich die deutsche Botschaft mit seinen als M. G. Shippe zu Papier gebrachten Auffassungen auseinandersetzen wird – nutzt Asiaticus den Besuch des deutschen Kreuzers »Emden« in Shanghai und Nanjing zu einer Wiedergabe chinesischer Pressestimmen zum chinesisch-deutschen Verhältnis. Aus der »sehr verbreiteten« Shanghaier Zeitung Lih Pao (Li Bao) zitiert er: »›Unser Land ist der beste Markt für deutsche Waren. Es ist deshalb nur zu hoffen, daß die deutschen Behörden sich diesen Fall gründlich überlegen und ihre Zusammenarbeit mit dem Aggressor im Fernen Osten aufgeben werden.‹« Und er fügt hinzu: »Die hiesigen überlegen gar nichts. In kolonialer Überheblichkeit folgern sie aus alledem nur, daß es höchste Zeit wäre, mit Hilfe des japanischen Militärfascismus die chinesische Presse endlich gleichzuschalten.

Nach dem 7. Juli 1937 konzentrieren sich die Asiaticus-Artikel natürlich auf die weitere Entwicklung des nun ganz China erfassenden Krieges. Und wieder greift er in seinen Schlußfolgerungen weit voraus. Während die Westmächte abwarten und auf irgendwie geartete Arrangements mit Japan hoffen, schreibt er im August 1937: »Es liegt der ganzen friedliebenden Welt daran, daß der japanische Massenmord in China durch eine internationale Friedensaktion, die dem Angreifer in den Arm fällt, aufgehalten werde. Eine solche Friedensaktion kann nur dann erfolgreich sein, wenn alle pazifischen Mächte, England, die USA, die Sowjetunion und Frankreich, den Abwehrkampf des chinesischen Volkes unterstützen und gemeinsam gegen die japanische Aggression auftreten.« Und es folgt die Entlarvung der deutschen und italienischen Politik: »Sowohl der deutsche als auch der italienische Botschafter haben in Nanking (Nanjing) erklärt, daß sie für den Frieden wären und sogar ›Sympathie‹ für China hätten, es aber für
ratsamer hielten, daß keine Einmischung von aussen erfolgte. (…) Dieser deutsch-italienische Plan der ›Nichtintervention‹ stimmt durchaus mit den Wünschen Japans überein.« Und im Oktober 1937 [S. 524] prognostiziert er: »Im Weltkrieg griff Amerika in Europa ein und brachte die Entscheidung. Im kommenden Weltkrieg (faktisch sind wir schon in seiner ersten Phase – {Hervorhebung – W. A.}) wird Amerika seine Streitkräfte vor allem in der pazifischen Zone konzentrieren. Seine wichtigsten Partner im Fernen Osten werden die Sowjetunion und das um seine Befreiung kämpfende China sein. Die englisch-amerikanische Kooperation war lange Zeit Tokios Schreckgespenst – sie war aber immer nur eine potentielle Gefahr. Der pazifische Block USA–UdSSR–China ist mehr als eine Drohung, er ist eine rapide wachsende Kräftekonstellation, die dem japanischen Imperialismus den Prozeß machen wird. England kann diese Kräftegruppierung im Fernen Osten nur im geringen Masse aufhalten; es wird sich ihr im Interess
e des Imperiums anschliessen müssen.«

## Bleibende Leistungen eines weithin unterschätzten Mannes

Als Asiaticus seine Analyse der ersten Kriegswochen zu Papier bringt, dauert es noch lange, bis die von ihm vorausgesagte Kräftekonstellation tatsächlich entsteht, aber am Ende behält er Recht. Zunächst gibt es noch zahlreiche Umwege und Hindernisse. Die Sowjetunion vereinbart mit China am 21. August 1937 einen Nichtangriffsvertrag und stellt sich damit an Chinas Seite, aber der Nichtangriffspakt zwischen der Sowjetunion und Deutschland vom 23. August 1939, die französischen und britischen Hoffnungen, daß sich der deutsche und der japanische Aggressionsdrang am Ende doch vor allem auf die Sowjetunion richten mögen, und das Festhalten vor allem Großbritanniens an seinen alten Kolonialmachtambitionen in China sind nicht geeignet, zu abgestimmten Positionen zu gelangen.  In den USA beginnt 1939/40 die Bereitschaft zur Unterstützung Chinas zu wachsen, aber erst nach dem Überfall Japans auf Pearl Harbour am 7. Dezember 1941 entwickelt sich gemeinsames militärisches Handeln. Dann aber wird China zum fes
ten Bestandteil der Anti-Hitler-Koalition. Am 9. Dezember 1941 erklärt die Tschiang-Kai-schek-Regierung Deutschland den Krieg. China gehört am Kriegsende zu den Siegermächten des Weltkrieges und Gründungsstaaten der UNO und ist neben der Sowjetunion, den USA, Frankreich und Großbritannien das fünfte Ständige Mitglied des UN-Sicherheitsrates.

Der Kommunist und Internationalist Heinz Grczyb alias Asiaticus hat – wie die hier vorgestellten knappen Auszüge aus seinen Reportagen belegen – von den Entwicklungen in China, Japan und auf dem fernöstlichen Kriegsschauplatz ein von Sachkenntnis und Gestaltungskraft geprägtes Bild gezeichnet, das bis heute nichts von seinem Wert und seiner Anschaulichkeit verloren hat, und mindestens zwei seiner Positionen sind – so meine ich – auch für die übergreifende Geschichtsschreibung von bleibendem Wert.

Da ist zum ersten seine Beurteilung der umfassenden japanischen Aggression gegen China als erste Phase des Zweiten Weltkrieges. Dies ist eine Leistung, die eigentlich Bestand haben müßte. Sie hat jedoch bisher in die europäische und amerikanische Geschichtsschreibung, so weit ich das überblicken kann, keinen Eingang gefunden, und das ist bedauerlich und bezeichnend zugleich. Zu sehr wirkt bis heute die alte Tradition fort, die Dinge aus eurozentristischer Sicht zu betrachten, und in gewisser Weise wird damit die damalige [S. 525] Geringschätzung der fernöstlichen Kriegsereignisse fortgesetzt – trotz der nach Millionen zählenden Toten, die der japanisch-chinesische Krieg schon in seinem ersten Jahr forderte, und trotz der von Asiaticus so treffend beschriebenen Bedeutung der Achse Berlin–Rom–Tokio für diesen Krieg.

Und damit ist die zweite bleibende Leistung genannt: die Herausarbeitung der großen Bedeutung des Antikomintern-Paktes.

Es lohnt sich, in diesem Zusammenhang einen Blick auf die Behandlung des Antikomintern-Paktes in der Geschichtsschreibung der DDR auf der einen und im Mainstream der Geschichtsschreibung der BRD auf der anderen Seite zu werfen.

Die DDR-Historiker legen den Schwerpunkt auf die Wirkung des Paktes: zunächst für die Kriegsvorbereitung und dann für die Ziele und Opfer der Aggressionspolitik der Achse Berlin–Rom–Tokio.Karl Drechsler sieht 1964 im Antikomintern-Pakt »einen wichtigen Meilenstein auf dem Wege zum zweiten Weltkrieg«, gar »einen Kriegsakt (…), der vor allem gegen die Sowjetunion, aber auch gegen die übrigen kapitalistischen Staaten sowie gegen die Volksmassen in allen Ländern gerichtet war, die sich einer faschistischen Aggression widersetzten.« Helmuth Stoecker vertritt 1968 die Auffassung, daß der im Pakt »herausgestellte Antikommunismus (…) die faschistische Aggressionspolitik rechtfertigen und zugleich die Aggressionsabsichten beider Staaten gegen die Westmächte tarnen« sollte.

In der BRD hingegen konzentriert sich der Mainstream der Geschichtsschreibung auf die Effizienz des Paktes bzw. auf den Mangel an derselben. Theo Sommer stellt sich 1962 das Ziel, die Auffassung der »Ankläger der Siegernationen« in den Kriegsverbrecherprozessen von Nürnberg und Tokio, wonach »eine enge Allianz zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und dem Kaiserreich Japan« bestanden habe, zu widerlegen. Die zweifellos vorhandenen tiefgehenden Widersprüche zwischen Deutschland und Japan, die natürlich auch von den DDR-Historikern immer gesehen worden sind – nicht umsonst gibt Drechsler seinem Dokumentenband von 1978 den Titel »Das Bündnis der Rivalen«  –, werden hier zum Entscheidenden, die trotz aller »Ineffizienz« des Bündnisses verheerenden Wirkungen für die Opfer der Aggressionspolitik treten in den Hintergrund. So kommt Sommer denn auch zu solch grotesken Schlußfolgerungen wie der, daß Japan und Deutschland eben wegen der »Ineffizienz« ihres Bündnisses »alsbald die bi
ttere (Hervorhebung – W. A.) Erfahrung« gemacht hätten, daß »sich ihre Großraum-Utopien nicht im weltpolitischen Vakuum verwirklichen ließen.« Sie seien »im Verfolg ihrer Ziele auf andere Gegner« gestoßen »als nur diejenigen, die sie zu treffen suchten: auf England in erster, auf die Vereinigten Staaten in zweiter Linie.« Wolfgang Michalka legt 1978 eine ganz andere Analyse vor, sieht den Pakt als eine »deutliche Wendemarke in der internationalen Politik«, beschreibt auch die von Beginn an gegen England gerichtete Stoßrichtung des Paktes, aber China als erstes und unmittelbares Opfer der Pakt-Politik bleibt gänzlich ausgeblendet. So auch bei Alfons Esser, der 1986 die Auffassung vertritt, daß die propagandistische Wirkung des Paktes weit größer gewesen sei als seine praktische Bedeutung. [S. 526]

Viel klarer in der Beurteilung, daß es es sich beim Antikomintern-Pakt um einen für China verheerenden Vertrag handelt, hingegen die Spezialisten für die Deutschland-Fernost-Beziehungen John P. Fox aus Großbritannien und William C. Kirby aus den USA sowie der japanische Weltkriegs-Historiker Saburo Ienaga.

Indes: Wie unterschiedlich auch die Einschätzungen des Antikomintern-Paktes durch die DDR-Historiker hier und die Historiker des BRD-Mainstreams da ausgefallen sind: Die Analysen und Prognosen des Grczyb-Asiaticus haben in keiner ihrer Arbeiten eine Rolle gespielt. Das mag für die Arbeiten aus der BRD auf der Hand liegen – wo schließlich hätte man dort auf Urteile von Kommunisten Wert gelegt, zumal auf solche, die Deutschlands Verantwortung für die Weltkriegsereignisse nicht auf Europa, Nordafrika und den Atlantik begrenzen, sondern auch für den Krieg in Fernost namhaft machen? Aber für die DDR – da befremdet sie, diese Ignoranz. Jedoch nur auf den ersten Blick. Denn dann werden die Gründe schnell klar. Grczyb-Asiaticus als »West«-Emigrant, dazu als Komintern-Kritiker, als »Brandler-Anhänger«, als Autor der »Neuen Weltbühne«, in der auch viele andere später »Vergessene« und Verfemte publiziert haben, dazu mit Drähten zum Pariser Exil um Willi Münzenberg, dazu mit der KP Chinas verbun
den – er teilt das Schicksal so vieler Kommunisten, die von der SED-Führung als nicht »würdig« erachtet wurden, Bestandteil der »richtigen« Geschichte zu sein. Sein wichtiges Buch »Von Kanton bis Schanghai 1926–1927« bleibt unbeachtet.

Grczyb-Shippe-Xibo-Asiaticus (1897–1941) ist nach Auskunft von Zhu Maoduo »auf dem Heldenfriedhof im Gebiet Linyi« in der Provinz Shandong begraben. Auf dem Grabstein – so der chinesische Historiker in einer leider etwas uninspirierten Übersetzung (für die er freilich keine Verantwortung trägt) weiter – »steht zum ehrenden Gedenken: Genosse Shippe gab für die Befreiung des chinesischen Volkes in Treue sein Herz und verbreitete die Nachrichten über den gerechten chinesischen Kampf. Er wird für immer in den Herzen des chinesischen Volkes leben.« Das soll hier so stehen bleiben – und nicht der Versuchung nachgegeben werden, nun noch einen Abschnitt zur Instrumentalisierung von Geschichte und Schicksalen in der VR China anzufügen. [S. 527]

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