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# Asiaticus – eine Unperson? (Teil 2)

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## 3. Im Streit mit Wittfogel und im Visier der faschistischen deutschen Behörden

Im Ramen seiner Zirkelarbeit ist Asiaticus – so schildert es Scherner unter Berufung auf Ruth Weiß – auch mit Karl August Wittfogel, dem bedeutendsten marxistischen deutschen Chinawissenschaftler der 1920er und 1930er Jahre, zusammengetroffen. Ruth Weiß habe im (unveröffentlichten) Interview mit Erhard Scherner bezeugt, daß es kurz vor der Abreise Wittfogels in die USA und kurz vor Ausbruch des japanisch-chinesischen Krieges – also vor dem 7.7.1937 – zu einer »heftigen Auseinandersetzung« zwischen beiden gekommen sei. Scherner weiter: »Wittfogel hatte in seinem Buch Wirtschaft und Gesellschaft Chinas (1931) ausgehend vom Marxschen Konzept der ›Asiatischen Produktionsweise‹ die Idee einer auf Wasserbau gegründeten Gesellschaft entwickelt, in der eine zentrale Staatsmacht Mensch und Natur gleichermaßen beherrscht.« Der »streitbare Mojzes Grzyb« hingegen habe »die Existenz einer grundlegenden, ausbeutenden Klasse und somit feudale Verhältnisse für China als das entscheidende Charakter
istikum« angesehen (S. 250) – und damit die offizielle sowjetische Sichtweise übernommen.

Diesen Streit zu rekonstruieren, bleibt eine Aufgabe für die Zukunft. Jedenfalls paßt er in die viel weiter greifende Auseinandersetzung um das alte China in der kommunistischen Bewegung. Wittfogel hatte – so sagt es Wikipedia – Anfang der 1930er Jahre einige Zeit am Marx-Engels-Institut in Moskau gearbeitet und dort erleben müssen, daß die These einer besonderen asiatischen Produktionsweise, die er 1928 noch mit Eugen Varga und Dawid Rjasanow offen habe diskutieren können, jetzt tabu gewesen sei. Gültigkeit habe nun die (1937 auch von Asiaticus vertretene – W. A.) Feudalismusthese gehabt. Das habe zu einer wachsenden Entfremdung Wittfogels von der KPD beigetragen.

Wikipedia belegt auch zwei Chinareisen Wittfogels: 1932 von Deutschland aus mit Unterstützung der MASch (Marxistische Arbeiterschule) und 1935-37 aus dem Exil in den USA mit Hilfe des International Institute of Social Research. Damit sind die Erinnerungen von Ruth Weiß an die Asiaticus-Wittfogel-Begegnung in Shanghai 1937 bestätigt.

Scherner zeigt nun, welch bedeutsames Nachspiel der Shanghaier Streit hatte: Als in den Jahren 1951/52 auf dem Gipfel der Kommunistenverfolgung in den USA durch den McCarthyismus das McCarran-Committee seine Untersuchungen zu den Kontakten der US-Regierung mit der KPCh in den Jahren 1947/48 durchführte und dabei die Truman-Administration bezichtigte, durch diese Politik »an der Niederlage Jiang Jieshis Schuld gewesen zu sein und sie hingenommen zu haben« (S. 250), sei im Zusammenhang mit dem »Institute of Pacific Relations« auch der amerikanische Mongolist und Ostasienwissenschaftler Owen Lattimore angeklagt worden, und Wittfogel, der vom Kommunisten zum Antikommunisten geworden war, habe »gleichsam als Kronzeuge seine Bekanntschaft mit Mojzes Grzyb zum Anlaß [genommen], gegen Owen Lattimore auszusagen.« Grzyb, »von 1936 an Sonderkorrespondent der Zeitschrift Pacific Affairs […], die vom ›Institute of Pacific Relations‹ herausgegeben wurde«, sei dabei post mortem ebenfalls mit der Anklage üb
erzogen worden, die Zusammenarbeit mit der KPCh unterstützt zu haben. (S. 250)

Der von Scherner im originalen Englisch zitierten Passage der Untersuchungsprotokolle vom Februar/März 1952 zufolge hat Wittfogel ausgesagt, daß sich Grzyb ihm als »Asiaticus-Moeller« vorgestellt und erzählt habe, daß er aus der KPD ausgeschlossen sei. Er habe jedoch mit dem »großen Vater im Kreml« seinen »Frieden« gemacht und in der Sowjetunion wieder ein »gutes Standing« erlangt – was sich, so Wittfogel weiter, auch darin ausdrücke, daß er für die Izvestija schreiben konnte. »Wittfogel betonte«, schreibt Scherner, »er habe Lattimore ›the Asiaticus story‹ mehrfach erzählt, der angegeben hatte, Asiaticus zu jener Zeit für einen Sozialisten gehalten zu haben.« (S. 251)

Das – ob einer als Sozialist oder Kommunist galt – machte in der aufgeheizten antikommunistischen Atmosphäre dieser Anhörungen den entscheidenden Unterschied. Lattimore – so der Kern der Wittfogel-Botschaft – habe seine Warnungen vor dem Kommunisten Asiaticus nicht ernst genommen.

Noch ein anderes Ereignis fällt in die Zeit des Wittfogel-Asiaticus-Streits im Frühjahr 1937: Asiaticus gerät mit dem mit »M. G. Shippe« gezeichneten, am 10. April in The China Weekly Review in Shanghai erscheinenden Artikel »Nazi-Nippon-Alliance Most Dangerous Threat to China’s Sovereignty« (Das Nazi-Japan-Bündnis ist die gefährlichste Bedrohung für Chinas Souveränität) ins Visier der deutschen Behörden und Nachrichtendienste in China. Ich verweise hier über Scherners Artikel hinaus auf meinen Text »Asiaticus 1937«, den ich im Jahre 2007 in der Zeitschrift UTOPIE kreativ veröffentlicht habe und der hier auf der Website zu finden ist. – Scherner schließt ihren Abschnitt zum Wirken des Asiaticus mit dem Satz, daß es Grzyb »mit Hilfe seiner Verleger« gelungen sei, »den Rechercheuren des ›Deutschen Nachrichtenbüros‹, der ›Transocean‹ (in den Akten werden die Namen Glimpf und Eigner genannt) und damit letztlich auch der Gestapo zu entkommen.« (252) Seine Pseudonyme halfen ihm,
sein Leben zu retten.

## 4. Yan’an, Mao, Edgar Snow und Rote Armee

Im letzten Abschnitt ihres Aufsatzes befaßt sich Scherner noch einmal mit Asiaticus‹ Verbindungen mit der jüdischen Emigration in Shanghai, zitiert ausführlich die Erinnerungen von Alfred Dreifuß (die hier auf der Website nachzulesen sind) sowie Günter und Genia Nobel (S. 253) und widmet sich dann der Tätigkeit von Asiaticus für die Gongchandang.

Für deren Verständnis sei hier noch einmal die Lage im Jahre 1937 skizziert: Am 7.7.1937 war Japan, das seit 1931 mit der Mandschurei bereits einen wirtschaftlich besonders wichtigen Teil Chinas besetzt hielt und von Januar bis Mai 1932 einen Krieg zur Eroberung Shanghais geführt hatte, auf breiter Front zur umfassenden Aggression gegen China übergegangen. Unter diesen Bedingungen hatten unter dem Druck der Gongchandang die Gongchandang und die an der Regierung befindliche Guomindang die sogenannte »Zweite Zusammenarbeit« (nach der von der Guomindang 1927 im Blut erstickten ersten) vereinbart, also: eine antijapanische Einheitsfront. Die hielt bis zum Sieg über Japan 1945, blieb aber, weil die Guomindangführung unter Jiang Jieshi (Tschiang Kai-schek) militant antikommunistisch blieb, immer brüchig.

Im Rahmen der Einheitsfront bildete die Gongchandang aus ihrer Roten Armee zwei weiterhin von ihr geführte, aber dem Oberkommando der Guomindang unterstellte Armeen: die »Neue Vierte Armee« und die »Achte Marscharmee«. Dies ist der Hintergrund, vor dem Scherner schreibt, daß Asiaticus nun »vor allem […] in antijapanische Stützpunktgebiete« gereist sei, »um über den Kampf der von der KP Chinas geführten Armeen gegen Japan zu schreiben, über den die Guomindang eine Nachrichtensperre verhängt hatte.« (S. 254)

In diesem Abschnitt seines Lebens nun traf Asiaticus mit den Führungspersönlichkeiten der Gongchandang zusammen und geriet auf diese Weise auch mitten hinein in die Grundsatzdebatten über den Weg der chinesischen Revolution.

Anfang 1938 war das Buch Red Star Over China des US-amerikanischen Journalisten Edgar Snow erschienen.

[Edgar Snow: Red Star Over China, 1938. Die deutsche Übersetzung »Roter Stern über China« erschien 1970 im März Verlag, Frankfurt a.M. – Im Klappentext der deutschen Fassung heißt es, daß Snow der erste westliche Journalist gewesen ist, der Mao in Yan’an gesprochen hat. Das war 1936. Zitiert wird im Klappentext auch die spätere Einschätzung des bedeutenden US-amerikanischen Sinologen John K. Fairbank, wonach dieses Buch nicht nur »die erste zusammenhängende Darstellung der Geschichte Mao Tse-tungs und seiner Kampfgenossen gibt«, sondern auch »mit Treffsicherheit die zukünftige Entwicklung dieser bis dahin kaum bekannten Bewegung voraussagte«.]

Asiaticus muß es sofort zu Gesicht bekommen, gelesen und sich eine kritische Meinung dazu gebildet haben, denn im Frühjahr 1938 sei er in Yan’an gewesen und habe es dort »auch gegenüber Mao Zedong« als »zwar exzellente und gut kommentierte Reportage«, aber letztlich »trotzkistisch« kritisiert. (S. 254) Mao wiederum soll – so Scherner unter Berufung auf eine spätere Veröffentlichung von Snow –

[Edgar Snow: Random Notes on Red China (1936-1945), Cambridge Mass. 1957]

sich »jegliche Kritik an Snows Buch verbeten, ja sie als ›konterrevolutionär‹ charakterisiert haben«. (S. 254) Die Leserinnen und Leser der Zeitschrift Pacific Affairs erfuhren vom Streit zwischen Asiaticus und Snow ausführlich, denn im Septemberheft 1938 wurden eine Kritik von Asiaticus, die Antwort von Snow und eine erneute Replik von Asiaticus abgedruckt. Snow habe – so Scherner abschließend – für die zweite Auflage seines Buches »relevante Stellen« verändert. (S. 254)

In den folgenden Jahren traf Asiaticus weitere Mitglieder der Gongchandang-Führung. Scherner berichtet von einer gemeinsam mit Agnes Smedley unternommenen Reise zum Hauptquartier der neuen Vierten Armee im Süden der Provinz Anhui, wo er mit Zhou Enlai, Ye Ting, Chen Yi und Xiang Ying bekannt wurde. (S. 255)

[Als Quelle dafür gibt sie zwei Artikel von Asiaticus in der US-amerikanischen Zeitschrift »Amerasia« an, die eine wichtige Rolle für jenen Teil der US-Sinologen und -Chinapolitiker spielte, die wie auch Edgar Snow für eine Zusammenarbeit mit der Gongchandang eintraten. Der erste dieser Artikel trug die Überschrift »Chou En-lai on the New Stage oft he Anti-Japanese War«, Vol. III, No. 4, June 1939; der zweite »The Yangtze Triangle Guerilla War«, Vol. III, No. 6, Aug. 1939. – Als chinesische Quelle nennt Scherner einen 1990 publizierten Aufsatz von Shen Qizhen, seinerzeit Leiter der Sanitätsabteilung der Neuen Vierten Armee, unter dem Titel »Yi laoyu Xibo« {Erinnerungen an meinen alten Freund Grzyb}, in: Zhandou zai Zhonghua dadi – Hansi Xibo zai Zhongguo {Kampf auf chinesischer Erde – Heinz Grzyb in China}, Jinan 1990. Ebenfalls in diesem Band finden sich von Gu Mu der Artikel »Shenqie huainian Hans Xibo tongzhi« {Herzliches Gedenken an Genossen Heinz Grzyb} und von Wang Huo »Xibo liesh
i zhuanlüe« {Der Märtyrer Heinz Grzyb – Biographische Skizzen}, auf die sich Scherner ebenfalls stützt.]

Später – nach einem Überfall von Guomindangverbänden auf das Hauptquartier der Neuen Vierten Armee im April 1941 – durchquerte Asiaticus Scherner zufolge gemeinsam mit Trude Rosenberg von Japan besetzte Gebiete, um nach Nord-Jiangsu zum dortigen Stützpunkt der Armee zu gelangen, wo er auf Liu Shaoqi traf und sich mit ihm »ausführlich über Fragen der chiniesischen Revolution« austauschte. (S. 255) Im September 1941 kam er dann nach Shandong zur Achten Marscharmee. Die dort stationierten Einheiten wurden jedoch im Herbst von japanischen Truppen umzingelt und aufgerieben; Mojzes Grzyb-Asiaticus fiel am 30. November 1941. (S. 255)

Helga Scherner beschließt ihren Aufsatz mit den Worten: »Wer sich mit dem Leben und dem Werk von Mojzes Grzyb befaßt, begegnet einem Zeitzeugen, der wie kaum ein zweiter Europäer während verschiedener Etappen der chinesischen Revolution in Bereiche vorgestoßen ist, die anderen unzugänglich blieben. […] (S. 255) Sein früher Tod an der Seite des für nationale und soziale Befreiung kämpfenden chinesischen Volkes entsprach der Konsequenz seines Lebens.« (S. 256)


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