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# Asiaticus 1936: Japan verschluckt China

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### in: Die neue Weltbühne, Prag–Zürich–Paris, Nr. 41 v. 8. Oktober 1936, S. 1279–1281

In Honkiu und Yangtsepu, den beiden Stadtteilen von Schanghai, die den Hafen mit Wusung und der Yangtsemündung verbinden, wird jetzt offen eine neue japanische Attacke auf Schanghai vorbereitet. Diese Stadtteile, die der Verwaltung des Internationalen Settlements unterstehen, mitsamt dem angrenzenden, chinesisch verwalteten Tschapei waren bereits im Frühjahr 1932 Schauplatz der japanischen Offensive, die damals durch den heroischen Widerstand der 19. Armee und der Schanghaier Arbeiter und Studenten abgeschlagen werden konnte. Noch heute sieht man die Ruinen jener Häuser, die von japanischen Flugzeugen und Kriegsschiffen zusammengeschossen wurden, noch heute trauert die chinesische Bevölkerung um ihre damals zu Tausenden ermordeten Söhne und Töchter.

Was Japan 1932 nicht erreichen konnte, hat es inzwischen unter Duldung der Behörden des Internationalen Settlements teilweise nachgeholt; nicht die englisch geleitete Munizipalbehörde sondern die japanischen Landungstruppe beherrscht jetzt faktisch die zwei genannten Stadtteile. An der Grenze von Honkiu und Tschapei, dicht an der Bahnlinie Schanghai-Wusung, ist inzwischen eine riesenhafte Feste, schlicht Kaserne genannt, mit Betonbauten, Lagern von Munition, Tanks, Geschützen, Observatorien und Befestigungen gegen Flugzeugangriffe errichtet worden. Von da ans werden immer häufiger waffenstarrende Demonstrationen in die zwei Stadtteile entsandt, Tag und Nacht werden Manöver zur Schulung in Straßenkämpfen, in Ausfällen nach Tschapei und zur Besetzung öffentlicher Gebäude durchgeführt. Gleichzeitig ist der Hafen wichtigster Stützpunkt der japanischen Chinaflotte geworden, die größten und wichtigsten Werften der Hafenfront sind nun in japanischem Besitz.

Wenn jetzt die chinesischen und die englisch verwalteten Straßen mit Drahtverhauen und mit Barrikaden von Sandsäcken geziert werden, hinter denen die japanische Besatzung in voller Kriegsrüstung steht, wenn in diesen Straßen die japanischen Panzerautos und Tanks rattern, so ist das eine offene Kriegsdrohung. Das alles spielt sich mitten in einer Stadt von Millionen Chinesen ab, im wichtigsten Handels- und Industriezentrum Chinas, in der bislang stärksten Position der englischen und amerikanischen Interessen im Fernen Osten. Nun verlangt Japan von der chinesischen Regierung die Unterbindung der antijapanischen Propaganda. Kann man sich eine aufreizendere, revoltierendere antijapanische Propaganda denken als diese, die hier vor den japanischen Generalen und Admiralen selbst inszeniert wird?

Japan hat auf die Besetzung der Mandschurei die Schanghaier Offensive folgen lassen. Als Vorbereitung des nächsten Schlages verließ Japan den Völkerbund, fügte so zur Zerreißung des Washingtoner Paktes zur Respektierung der territorialen Integrität Chinas die Vernichtung des Völkerbundpaktes in einer Zone, die ganz Ostasien umfaßt, und negierte die Souveränität der international anerkannten chinesischen Regierung. Es folgte die Eroberung von Jehol und die Fabrikation von »autonomen« Regierungen in der Inneren Mongolei und in Nordchina. Dann kam die Lösung des Flottenpaktes und damit die offene Proklamierung der japanischen Vorherrschaft im östlichen Pazifik, die Errichtung von Flottenstützpunkten entlang der chinesischen Küste: Port Arthur-Tientsin für Nordchina, die Yangtsemündung mit Schanghai-Wusung für Zentralchina und Formosa, Fukien und Nordkwangtung gegenüber Hongkong für Südchina. Wenn jetzt das japanische Außenministerium gegen die Reuter-Agentur zu Felde zieht, weil sie auf d
as wahre Ziel des japanischen Angriffs, auf die Beherrschung der Yangtsemündung, hinwies, so steckt dahinter weit mehr als der Unwille über einen unbequemen Beobachter. Die gesamte japanische Propaganda und damit auch die Tätigkeit der japanischen Diplomatie, die einzig die ihr vom japanischen Generalstab zugewiesenen Aufgaben erfüllt, ist darauf gerichtet, China als das Land der Anarchie, der antijapanischen Provokationen, des Kommunismus hinzustellen, demgegenüber Japan als Hort der Friedensliebe, als Bollwerk der Zivilisation und Kultur eine befreiende Mission zu erfüllen hat. Die Welt soll nicht erfahren, daß die »Befreiung«, die die japanischen Generale China bereiten, ein Volk von über vierhundert Millionen in Stücke reißt, um es umso sicherer dem japanischen Imperium einverleiben zu können; daß während von »Frieden« und »Verständigung« gesprochen wird, der Krieg in jeglicher Form, als Völkerkrieg und als Bürgerkrieg, organisiert wird; daß Japan in China Positionen für den Krieg
um die Neuaufteilung der Welt bezieht.

Der japanische Generalstab will keinen Krieg? Er will nur das Ende Chinas als Staat und Volk, die Verständigung mit den von ihm geschaffenen und bevormundeten »autonomen« Regierungen; deshalb zerstückelt er China. Alle Grenzen werden der zollfreien japanischen Einfuhr geöffnet, die chinesische Küste wird der japanischen Flotte ausgeliefert. Jede Abwehrregung des chinesischen Volkes gilt als antijapanische Provokation, als Bedrohung des Lebens und Eigentums der Japaner in China und als Bolschewismus dazu; jeder auswärtige Protest wird als unzulässige Einmischung in die Angelegenheiten Japans und Chinas bezeichnet.

Der japanische Generalstab stellt die Frage ganz eindeutig: entweder werden die Beziehungen zwischen Japan und China um sehr vieles besser, oder um sehr vieles schlechter. Um sie sehr viel besser zu gestalten, verlangt er erstens Auflösung der japanfeindlichen Organisationen und Verbot der antijapanischen Propaganda in Wort, Schrift und Bild, das heißt Unterdrückung jeder patriotischen Bewegung zur Verteidigung der Existenz Chinas; zweitens Entlassung aller antijapanischen Beamten und Einstellung von japanischen Ratgebern in allen wichtigen Ämtern, das heißt Unterstellung der chinesischen Innen- und Außenpolitik unter die japanischen Kolonialvögte; drittens Freiheit für die japanische Luftfahrt in China, das heißt zu der bereits bestehenden Freiheit der japanischen Kriegsflotte in den chinesischen See- und Binnengewässern auch die Öffnung Chinas für die japanischen Bombenflugzeuge und Luftgeschwader; viertens völlige Autonomie für Nordchina, das heißt Zustimmung zur weiteren Zerstücklung Chin
as, und fünftens Reduktion der Zölle, das heißt Auslieferung des chinesischen Marktes an Japan und Unterzeichnung des Todesurteils für jede künftige Industrialisierung Chinas. Das alles brauchen die japanischen Generale, um die Beziehungen zwischen Japan und. China um sehr vieles besser zu gestalten, als sie jetzt sind. Die Frage drängt sich auf, was denn überhaupt für die angedrohte Alternative der um sehr vieles schlechteren Beziehungen noch übrig gelassen wurde.

Es gibt keine chinesische Regierung, die diese Forderungen akzeptieren könnte, ohne von der überwältigenden Mehrheit des chinesischen Volkes davongejagt zu werden. Und es gibt auch keine andere Wahl für China als den Kampf auf Tod und Leben um seine Existenz. Chinas Kampf um seine nationale Existenz gegenüber dem Imperialismus Japans ist ein heroischer Kampf auf vorgeschobenem Posten im Weltkampf gegen die faschistische Kriegs- und Eroberungspolitik.

//Anmerkung: Die Schreibweise wurde weitestgehend wie im Original beibehalten. Nur offensichtliche Schreibfehler wurden korrigiert. Die Umschrift der chinesischen Orts- und Personennamen wurde der damals in deutschen Zeitungen üblichen (inkonsquenten) Schreibung angepaßt und dann durchgänging vereinheitlicht. (Eine Tabelle mit den Orts- und Personennamen in Pinyin und weiteren gebräuchlichen Umschriften am Ende der Artikelserie.)//

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