JUGENDSCHUTZGESETZ: NOVELLIERUNG KONTRAPRODUKTIV
(Veröffentlicht am 2020-11-01 10:54:29 von tux0r)
Das Bundeskabinett hat am 14.10.2020 einem Novellierungsentwurf zum
Jugendschutzgesetz zugestimmt. Die nächste Instanz wird die Beratung im
Bundestag sein.
*Welcher Grund führt zur Novellierung?*
Der Novellierungsentwurf wurde von der SPD-Familienministerin Giffey
eingebracht. Er sieht den Schutz der Jugend in den Medien der digitalen
Welt vor sexueller Belästigung, Tracking, Kostenfallen, Mobbing und
Beleidigungen als nicht ausreichend gegeben an. Das Reformpaket beinhaltet
neue Befugnisse für Bund und Länder sowie neue Verpflichtungen für
Seitenanbieter. ((Bundesregierung.de [
https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/bundeskanzleramt/jugendschutz-internet-1798644
]))
*Anbieterverantwortung und (Selbst-)Kontrolle?*
Durch Alterskennzeichnung sowie sichere Voreinstellungen durch die
Seitenanbieter inklusive Altersüberprüfung und -freigabe per PIN oder
ähnlichem sollen Jugendliche demnächst besser vor vermeintlicher
Hassrede, sexueller Belästigung und vielem weiteren geschützt werden. Die
Altersgrenzen sollen zukünftig nicht mehr von der seit Jahren gut
funktionierenden Selbstkontrolle, sondern von einer Bundeszentrale
festgelegt werden. Konsequenzen für Seitenanbieter bei Verstoß sollen
vorrangig Dialog und weitergehend Bußgelder sein.
*Geltungsbereich?*
Auch Anbieter aus dem Ausland will man zur Durchsetzung von
Jugendschutzmechanismen verpflichten. Dass viele Pornoanbieter außerhalb
Deutschlands sitzen, spielt da sicherlich eine größere Rolle. Doch für
welche Seiten soll die Novellierung überhaupt gelten? Werden
Presseerzeugnisse davon betroffen sein - die Seite x der "Zeitung" mit den
4 Buchstaben und ihren nackten Tatsachen? Ist Youporn dann auch ein
Presseerzeugnis, welches per Grundgesetz zu schützen ist?
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Eine Zensur (für Presseerzeugnisse, A.d.V.) findet nicht statt.
Art. 5 Abs. 1 GG
-=-=-=-=-=-=-=-=-=-=
Wo will man die Grenze ziehen und wer bestimmt diese Grenze?
*Zensur oder Aufklärung?*
Anstatt Minderjährige über sicheres Kommunikationsverhalten aufzuklären
und sie zu befähigen, sich kompetent im Digitalen aufzuhalten, sollen
Dinge "weggesperrt" werden - was genau das sein wird, bestimmen Bund und
Länder und Medienanbieter, wenn es nach dem Willen der Autoren dieses
Gesetzesentwurfes geht. Wenn Medienanbieter zukünftig als Hilfssheriffs
der Regierung agieren sollen, öffnet dies einer nicht zu kontrollierenden
Zensur Tür und Tor. Ob Seitenanbieter dann auf Anordnung zensieren oder
"vorsichtshalber": Es würde das Netz und das Verhalten der Menschen in
einer unerträglichen Form reglementieren. Es würde die Einschränkung von
Freiheiten nach sich ziehen, wie wir sie sonst nur aus der VR China kennen.
Das "Sozialkredit"-System ist dort das Orwell'sche Negativbeispiel.((vgl.
Tagesspiegel [
https://www.tagesspiegel.de/politik/china-punkte-fuer-den-besseren-menschen/22835154.html
]))
Erziehende wissen: Das Wegsperren oder Verstecken von Süßigkeiten, das
Verbieten von Horror-DVDs oder später Pornoheften haben nicht den
erhofften Effekt, völlig unabhängig von der Sinnhaftigkeit. Genau das ist
doch der Wunschgedanke: Junge Menschen, die verantwortungsvoll agieren, die
Interaktionsrisiken kennen und sich schützen können. Das lernt man aber
nicht mit Wegsperren von Inhalten, sondern durch Aufklärung.((News.at [
https://www.news.at/a/safer-internet-day-aufklaerung-verbot-318532 ]))
Und hier liegt das eigentliche Manko von Erziehern und Lehrern: Sie sind
selten in der Lage, die notwendige Aufklärung sowie die Kompetenzen zu
vermitteln, da sie ihnen selbst fehlen.((RND [
https://www.rnd.de/digital/defizite-von-lehrern-in-medienkompetenz-fatales-ergebnis-in-zeiten-von-verschworungstheorien-und-fake-news-Y33QFJ2DBXSQR3XOVN4B6MAUSY.html
]))((Deutschlandfunk [
https://www.deutschlandfunk.de/studie-zur-digitalen-mediennutzung-in-familien-die-eltern.2907.de.html?dram%3Aarticle_id=434333
]))
*Eignung des Gesetzesentwurfes?*
Was oftmals nicht fehlt, ist die Kenntnis zur Umgehung von Inhaltssperren.
Und hat jemand diese Kenntnisse, haben sie alle; das Netz weiß:
Inhaltssperren sind auch von unversierten Nutzern meist einfach aufzuheben.
Wenn das Gesetz damit für seinen Zweck gar nicht geeignet ist, ist es
unverhältnismäßig.((Wikipedia zum Verhältnismäßigkeitsprinzip [
https://de.wikipedia.org/wiki/Verh%C3%A4ltnism%C3%A4%C3%9Figkeitsprinzip_%28Deutschland%29#Definition
])) Die geplante Umsetzung kann den Schutz nicht gewährleisten. Doch nicht
nur das.
*Gesetzesentwurf kontraproduktiv?*
Der Dienst TOR sowie VPNs könnten durch die Anwendung des Gesetzes
gezwungen sein, ihre Anonymisierung zu schwächen, weil auch sie das Alter
ihrer Nutzer kontrollieren müssten.
Im schlimmsten Falle könnten diese Anbieter ganz verboten werden; mit
schwerwiegenden Folgen für alle, die auf Anonymität angewiesen sind:
Pressefreiheit sowie Whistleblowerschutz würden unmöglich gemacht
werden.((t3n.de [
https://t3n.de/news/kampf-vpn-services-tuerkei-tor-778323/ ]))
Und auch Kindern und Jugendlichen würde es geradezu unmöglich gemacht
werden, anonym Hinweise zu geben - etwa auf sexuelle Belästigung, Mobbing
und Beleidigungen. Das Gesetz bewirkt also ggf. genau das Gegenteil von dem
erhofften Schutz.
Es bleibt zu überlegen, wessen Interessen mit diesem Gesetzesentwurf
eigentlich vertreten werden.
*Wir PIRATEN Braunschweig fordern:*
* Aufklärung statt Zensur: Kinder und Jugendliche müssen von kompetenten
Lehrkräften in gut ausgestatteten Unterrichtsräumen auf das digitale
Leben vorbereitet und über dessen Chancen und Gefahren aufgeklärt werden.
Die Unterrichtsinhalte müssen sich an der Lebenswelt der Schüler
orientieren und ihnen die aktuell notwendigen Kompetenzen vermitteln.
* Keine grundgesetzwidrige Zensurinfrastruktur: Weder bei Medienanbietern
noch bei einer neuen Bundeszentrale darf eine Zensurinfrastruktur aufgebaut
werden.
Wir bekennen uns zu einer freiheitlichen Gesellschaft und fordern die
Bundesregierung auf, den Wortlaut und den Geist des Grundgesetzes nicht zu
verletzen.
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