Waehrend Adventure-Fans offen Trauer trugen, als Infocom zu Grabe
getragen wurde, machte sich eine Gruppe von Veteranen daran, die
Flamme weiterzutragen. Wir ziehen Bilanz.
[Foto: Bob Bates, etwas unterbelichtet]
Bob Bates beim gemuetlichen Messe-Plausch
[Foto: Screenshot von "Timequest"]
"Spellcasting 101: Sorcerers get all the Girls" ist ein echter
Leckerbissen fuer alle Adventure-Freunde (MS-DOS/EGA Hi-Res)
Es ist wenig los auf dem Messegelaende in London. Nachdem die ECES
doch nur fuer Fachbesucher geoeffnet wurde, entgingen den Ausstellern
die vielen Kids. Das Angenehme an der Sache: Gespraeche mit
Herstellern, Programmierern und PR-Menschen konnte ohne Gebruell
("Was hast du gesagt?") und ohne Verziehen in eine ruhige Kneipe
durchgefuehrt werden.
Mehrfach trafen wir Bob Bates von Legend Entertainment -- mal am
Stand von Microprose, wo er noch "Timequest" vorstellte, mal am Stand
von Accolade, wo sich alles schon um "Spellcasting 201" drehte. Ab
diesem dritten Spiel werden die Legend-Abenteuer in Europa ueber
Accolade vertrieben.
Am Accolade-Stand setzten sich dann schliesslich unser Haus-
Abenteurer Boris Schneider und Bob Bates zu einem langen Gespraech
zusammen, dessen interessanteste Passagen wir hier zusammengefasst
haben.
POWER PLAY: Bob, fangen wir am Anfang an. Wann ist Legend geboren
worden?
BOB BATES: Mit Legend ging es los, als Infocom unterging. Das Team
hat sich im Mai 1989 versammelt, im Oktober desselben Jahres haben
wir dann die Firma gegruendet; Ende 1990 kam dann das erste Spiel
"Spellcasting 101: Sorcerers get all the Girls." [sic]
POWER PLAY: Wenn Du von "Team" redest, meinst du damit...
BOB BATES: ...zuerst einmal Duane Beck, Mark Poesch, Glen Dahlgren
und mich. Wir haben uns das Legend-System ausgedacht, die drei haben
es programmiert. Duane hat das Adventure-System und den Parser
geschrieben, Mark hat darauf die Benutzeroberflaeche, Grafiktreiber
und anderes gesetzt. Glen schreibt alle moeglichen Utilities, die
staendig benoetigt werden. Ich habe schon damals an meinem ersten
Spiel gearbeitet. Frueh dazugestossen ist Steve Meretzky, der die
beiden Spellcasting-Spiele entwickelt hat. Tanya Isaacson ist unsere
Grafik-Chefin. Was sie nicht selber zeichnet, koordiniert sie. Die
Musik wird von einem Komponisten aus Washington gemacht, der unter
seinem Pseudonym "Arfing Dog" (bellender Hund) genannt werden will.
Michael Lindner hat die Musiktreiber geschrieben, die Adlib-Versionen
der Musik programmiert und ist inzwischen auch Produzent der Spiele.
Peggy Oriani kuemmert sich um die Presse und die Produktion -- das
war's im grossen und ganzen. Dazu kommen noch viele Tester und noch
mehr Grafiker.
POWER PLAY: War es nicht ein unheimliches Risiko, nach dem Untergang
von Infocom eine Adventure-Firma aufzubauen?
BOB BATES: Natuerlich! Stell Dir das doch einfach mal vor: Du gehst
zu einer Bank oder zu einem Investoren und sagst: "Ich will eine
Firma gruenden, die diese tollen Spiele so aehnlich wie Infocom
macht. Achja, [sic] Infocom ist gerade pleite gegangen." Da sagt
keiner: "Prima, hier sind ein paar Millionen, komm wieder, wenn Du
mehr brauchst."
Aber es war ein kalkulierbares Risiko. Dass man Adventures
verkaufen kann, zeigten andere Firmen wie Sierra oder Lucasfilm.
Infocom hatte Probleme, aber meiner Ansicht nach waren die
nachvollziehbar und deswegen vermeidbar.
Computer-Besitzer sind seltsame Menschen. Sie wollen, dass ihr
Computer "gut aussieht". Sie wollen Programme, die die technischen
Faehigkeiten der Computer ausnutzen. Sie wollen mit den Programmen
angeben. Die Text-Adventures von Infocom waren dafuer denkbar
ungeeignet. Andere Firmen machten tolle Grafik, waehrend Infocom zwar
die besten Stories und Puzzles, aber Text-Adventures produzierte. Nur
verkauft sich Grafik besser als Puzzles.
Das Ziel von Legend-Spielen ist, alle technischen Moeglichkeiten
der vorhandenen Hardware auszunutzen. So arbeiten wir beispielsweise
in EGA-HiRes, wie sonst kein anderes Software-Haus. Das braucht mehr
Speicherplatz, ist schwerer zu programmieren, sieht aber auf EGA- und
VGA-Rechnern einfach gut aus. Da immer mehr Spieler VGA-Karten haben,
werden wir demnaechst auch echte VGA-Grafik unterstuetzen.
Dann haben wir besonderes Augenmerk auf Sound und Musik gelegt.
Unsere digitalisierten Sound-Effekte sind ziemlich einmalig in der
Branche. Und auf unsere Musiker sind wir besonders stolz. Die Musik
ist sehr professionell und passt wunderbar zum Spiel -- wir haben
fast alle technischen Mittel genutzt, die Durchschnitt-PCs heutzutage
haben. Aber um auf die Frage nach dem Risiko zurueckzukommen: Wir
hatten alle ein wenig Angst, und Angst motiviert hervorragend.
Anscheinend waren wir motiviert genug, denn bis jetzt sind wir
erfolgreich -- um die Zukunft brauchen wir uns im Augenblick keine
Sorgen zu machen.
POWER PLAY: Deine Spiele fuer Infocom und auch Timequest haben ja
alle viel mit Geschichte zu tun. Hast Du Geschichte studiert oder ist
das nur ein Hobby?
BOB BATES: Nur ein Hobby, und ein relativ junges dazu. Ich habe
Soziologie und Philosophie studiert und mich als Fremdenfuehrer in
Washington D.C. durchgeschlagen. Das machte mir Spass und lief ganz
gut, deswegen hatte ich sogar eine Zeit lang eine eigene
Fremdenfuehrerfirma. Aber mein Traum zu der Zeit war, ein Buch zu
schreiben. Also habe ich meine Firma verkauft und das Geld so
eingeteilt, dass ich davon leben konnte, waehrend ich das Buch
schrieb. Mit den ersten Manuskripten ging ich zu einem Verleger, dem
das Ganze gefiel und mich nebenbei fragte: "Wann soll das Buch denn
fertig sein?". [sic] Ich antwortete [sic] "Na, in etwa fuenf Jahren".
[sic] Zum Glueck war ich an einen guten Verleger geraten. Er rechnete
mir vor, was ich mit dem Buch verdienen koennte, und dass mich das
Honorar auf gar keinen Fall fuenf Jahre ernaehren wuerde.
Zu dieser Zeit hatte ich mir gerade einen Computer gekauft, um mein
Buch mit einer Textverarbeitung zu schreiben. Ein Freund von mir
schenkte mir dazu ein "Zork". Ich war vollkommen fasziniert, sagte
mir aber: "Das kannst du auch! (und da verdient man sicher nicht
schlecht)". [sic]
POWER PLAY: Also hast Du Infocom angerufen und gefragt, ob sie noch
einen Autoren brauchen?
BOB BATES: Nein, so war es nicht ganz. Ich dachte mir, ich mache
meine eigene Firma fuer Adventures auf, weil ich doch andere Spiele
als Zork im Sinn hatte. Aber ich wollte nicht ganz bei Null beginnen.
Also sagte ich mir: "Vielleicht verkauft mir jemand sein
Entwicklungssystem." Ich rief einfach mal bei Infocom an. Zuerst war
ich schockiert: Ich sprach mit dem Geschaeftsfuehrer und sagte offen
heraus: [sic] Ich will euer Entwicklungssystem kaufen und eigene
Spiele machen. [sic] Ich erwartete hysterisches Gelaechter oder
zumindest, dass die ganz schnell wieder auflegen. Ganz im Gegenteil,
sofort zeigte Infocom Interesse: Was fuer Spiele sollten das sein,
warum waeren sie anders, wie gut koennte ich programmieren... Am Ende
des Gespraechs hatte ich eine Einladung fuer ein
Vorstellungsgespraech.
POWER PLAY: Aber um auf die Frage mit der "Geschichte"
zurueckzukommen...
BOB BATES: Waehrend meiner Zeit als Fremdenfuehrer musste ich mich
zwangslaeufig mit amerikanischer Geschichte auseinandersetzen, das
wollten die Touristen ja wissen. Da begann mir Geschichte auf einmal
Spass zu machen. Ich hab immer mehr Geschichtsbuecher gelesen und
daraus ein Hobby gemacht. Meine Spiele haben deswegen viel mit
Geschichte zu tun, weil mir das Thema gut liegt und sich dann
natuerlich einfach ein Adventure schreiben laesst. Das war ja das
"Neue" an den drei Spielen, die ich fuer Infocom schreiben wollte.
POWER PLAY: Drei? "Sherlock Holmes", "Arthur" und...
BOB BATES: Das dritte Spiel waere ein Robin-Hood-Spiel gewesen, aber
das war noch lange nicht fertig, als Infocom endgueltig zumachte. Ich
wollte zuerst dieses Spiel bei Legend zu Ende fuehren, aber dann
wurde doch "Timequest" daraus, um mehr Leute anzusprechen. Ich muss
zugeben, dass reine Geschichtsspiele sehr langweilig waeren.
Science-fiction ist hingegen spannend. Also habe ich die Zeitmaschine
als Aufhaenger fuer ein Spiel benutzt, das jede Menge leicht
verdauliche Geschichte bietet. Robin Hood ist ja auch in einer
Episode kurz enthalten.
Man muss halt immer die Balance halten zwischen einem Spiel, das
dem Programmierer gefaellt, und einem Spiel, das sich gut verkauft.
Eine Handlung, die den Spieler anspricht, ist ohne spielerisches
"Fleisch" drumherum keine Garantie fuer Erfolg. Aber wenn das Fleisch
kein vernuenftiges Handlungsgerippe hat, mag es noch so gut sein:
keiner [sic] wird das Spiel kaufen.
POWER PLAY: Eine knifflige Frage: Wie gut ist Euer Parser gegenueber
dem von Infocom?
BOB BATES: Das kann man so nicht beantworten. Unserer ist anders
aufgebaut, weil er nicht, wie der von Infocom, an 8-Bit-Computer mit
64 KByte RAM gebunden ist. Ausserdem haben wir viele Dinge anders
angepackt als Infocom. Einige wirklich ausgefeilte Sachen des
Infocom-Parsers packt unserer nicht; aber das sind Dinge, die
praktisch nie in einem Adventure auftauchen.
Entscheidender als der Parser an sich ist sowieso immer, was der
Designer aus dem Parser macht. Ein Beispiel: Die Wortlisten unserer
Spiele sind so abgestimmt, dass es viele Wege gibt, eine Aktion
auszuloesen. Wir packen viele Synonyme fuer die Objekte rein. Wenn im
Spiel immer nur von Gardinen die Rede ist, bauen wir trotzdem das
Wort "Vorhang" in die interne Wortliste ein, weil manche Leute zwar
Gardine verstehen, aber beim Sprechen immer Vorhang verwenden.
Solange man beim Eintippen nicht auf "Ich verstehe dich nicht"
stoesst, sollte dem Spieler der Parser gar nicht auffallen. In dieser
Hinsicht haben wir unsere Hausaufgaben gemacht.
POWER PLAY: Es mehren sich die Geruechte, dass Legend-Spiele
demnaechst auch fuer den Amiga kaemen. Was ist da dran?
BOB BATES: Wer setzt denn solche Geruechte in die Welt? Gearbeitet
wird zur Zeit nicht an Amiga-Versionen, nachgedacht natuerlich schon.
Wenn wir Umsetzungen machen sollten, dann als erstes auf den Amiga,
das ist klar. Aber im Augenblick koennen wir uns Amiga-Adaptionen
noch nicht leisten.
Wir sind eine junge Firma und muessen auf jeden Cent achten. In
Europa, dem grossen Amiga-Markt, muessen wir erst richtig erfolgreich
sein, damit sich die Umsetzung lohnt -- denn, [sic] wenn wir
umsetzen, dann richtig und nicht halbherzig. Eine technisch gute
Amiga-Version wuerde aber einiges kosten.
POWER PLAY: Eure Benutzerfuehrung, die ohne Eintippen auskommt, waere
ja auch auf die neuen Videospiele umsetzen, [sic] zumindest auf die
mit CD-ROM...
BOB BATES: Das ist richtig, aber das war nicht unser Ziel. Als wir
mit Legend loslegen wollten, habe ich erstmal ein paar Freunde
eingeladen, Adventures zu spielen. Die Idee sprach sie an und sie
legten los: "Also ich will mal den Ball nehmen." Der rechte
Zeigefinger streicht ueber die Tastatur, findet das "T", drueckt die
Taste. Dann suchen die Augen das A, der Finger kommt nach, wieder
eine Taste. Bis der Befehl "take ball" eingetippt war, vergingen gut
und gerne 30 Sekunden. Da dachte ich mir: Die Leute werden nie ein
Adventure zu Ende spielen. Irgendwann sind sie von der Tipperei
frustriert.
Aber die reinen Symbolspiele sprechen mich auch nicht an. Zum einen
sind die Spiele nicht flexibel genug. Es gibt zu viele
Beschraenkungen bei den Puzzles, wenn es nur "take", "drop" und "use"
gibt. Und zum zweiten bin ich nun mal ein schneller Tipper. Ich kann
komplizierte Eingaben schneller machen, als jeder normale Mensch mit
einer Maus ueber den Bildschirm faehrt. Und es gibt auf der Welt noch
mehr Leute, die Adventures mit Texteingabe moegen.
POWER PLAY: Hast Du konkrete Plaene?
BOB BATES: Ja, aber die will ich noch nicht verraten, damit mir die
Konkurrenz nicht zuvorkommt. Lasst Euch ueberraschen.
Das Interview mit Bob Bates fuehrte Boris Schneider.