aus: Power Play 12/91 (Dezember 91)

SCHMIEDE DER LEGENDEN

    Waehrend Adventure-Fans offen Trauer trugen, als Infocom zu Grabe
    getragen wurde, machte sich eine Gruppe von Veteranen daran, die
    Flamme weiterzutragen. Wir ziehen Bilanz.

 [Foto: Bob Bates, etwas unterbelichtet]
 Bob Bates beim gemuetlichen Messe-Plausch

 [Foto: Screenshot von "Timequest"]
 "Spellcasting 101: Sorcerers get all the Girls" ist ein echter
 Leckerbissen fuer alle Adventure-Freunde (MS-DOS/EGA Hi-Res)

      Es ist wenig los auf dem Messegelaende in London. Nachdem die ECES
    doch nur fuer Fachbesucher geoeffnet wurde, entgingen den Ausstellern
    die vielen Kids. Das Angenehme an der Sache: Gespraeche mit
    Herstellern, Programmierern und PR-Menschen konnte ohne Gebruell
    ("Was hast du gesagt?") und ohne Verziehen in eine ruhige Kneipe
    durchgefuehrt werden.

      Mehrfach trafen wir Bob Bates von Legend Entertainment -- mal am
    Stand von Microprose, wo er noch "Timequest" vorstellte, mal am Stand
    von Accolade, wo sich alles schon um "Spellcasting 201" drehte. Ab
    diesem dritten Spiel werden die Legend-Abenteuer in Europa ueber
    Accolade vertrieben.

      Am Accolade-Stand setzten sich dann schliesslich unser Haus-
    Abenteurer Boris Schneider und Bob Bates zu einem langen Gespraech
    zusammen, dessen interessanteste Passagen wir hier zusammengefasst
    haben.

    POWER PLAY: Bob, fangen wir am Anfang an. Wann ist Legend geboren
    worden?

    BOB BATES: Mit Legend ging es los, als Infocom unterging. Das Team
    hat sich im Mai 1989 versammelt, im Oktober desselben Jahres haben
    wir dann die Firma gegruendet; Ende 1990 kam dann das erste Spiel
    "Spellcasting 101: Sorcerers get all the Girls." [sic]

    POWER PLAY: Wenn Du von "Team" redest, meinst du damit...

    BOB BATES: ...zuerst einmal Duane Beck, Mark Poesch, Glen Dahlgren
    und mich. Wir haben uns das Legend-System ausgedacht, die drei haben
    es programmiert. Duane hat das Adventure-System und den Parser
    geschrieben, Mark hat darauf die Benutzeroberflaeche, Grafiktreiber
    und anderes gesetzt. Glen schreibt alle moeglichen Utilities, die
    staendig benoetigt werden. Ich habe schon damals an meinem ersten
    Spiel gearbeitet. Frueh dazugestossen ist Steve Meretzky, der die
    beiden Spellcasting-Spiele entwickelt hat. Tanya Isaacson ist unsere
    Grafik-Chefin. Was sie nicht selber zeichnet, koordiniert sie. Die
    Musik wird von einem Komponisten aus Washington gemacht, der unter
    seinem Pseudonym "Arfing Dog" (bellender Hund) genannt werden will.
    Michael Lindner hat die Musiktreiber geschrieben, die Adlib-Versionen
    der Musik programmiert und ist inzwischen auch Produzent der Spiele.
    Peggy Oriani kuemmert sich um die Presse und die Produktion -- das
    war's im grossen und ganzen. Dazu kommen noch viele Tester und noch
    mehr Grafiker.

    POWER PLAY: War es nicht ein unheimliches Risiko, nach dem Untergang
    von Infocom eine Adventure-Firma aufzubauen?

    BOB BATES: Natuerlich! Stell Dir das doch einfach mal vor: Du gehst
    zu einer Bank oder zu einem Investoren und sagst: "Ich will eine
    Firma gruenden, die diese tollen Spiele so aehnlich wie Infocom
    macht. Achja, [sic] Infocom ist gerade pleite gegangen." Da sagt
    keiner: "Prima, hier sind ein paar Millionen, komm wieder, wenn Du
    mehr brauchst."

      Aber es war ein kalkulierbares Risiko. Dass man Adventures
    verkaufen kann, zeigten andere Firmen wie Sierra oder Lucasfilm.
    Infocom hatte Probleme, aber meiner Ansicht nach waren die
    nachvollziehbar und deswegen vermeidbar.

      Computer-Besitzer sind seltsame Menschen. Sie wollen, dass ihr
    Computer "gut aussieht". Sie wollen Programme, die die technischen
    Faehigkeiten der Computer ausnutzen. Sie wollen mit den Programmen
    angeben. Die Text-Adventures von Infocom waren dafuer denkbar
    ungeeignet. Andere Firmen machten tolle Grafik, waehrend Infocom zwar
    die besten Stories und Puzzles, aber Text-Adventures produzierte. Nur
    verkauft sich Grafik besser als Puzzles.

      Das Ziel von Legend-Spielen ist, alle technischen Moeglichkeiten
    der vorhandenen Hardware auszunutzen. So arbeiten wir beispielsweise
    in EGA-HiRes, wie sonst kein anderes Software-Haus. Das braucht mehr
    Speicherplatz, ist schwerer zu programmieren, sieht aber auf EGA- und
    VGA-Rechnern einfach gut aus. Da immer mehr Spieler VGA-Karten haben,
    werden wir demnaechst auch echte VGA-Grafik unterstuetzen.

      Dann haben wir besonderes Augenmerk auf Sound und Musik gelegt.
    Unsere digitalisierten Sound-Effekte sind ziemlich einmalig in der
    Branche. Und auf unsere Musiker sind wir besonders stolz. Die Musik
    ist sehr professionell und passt wunderbar zum Spiel -- wir haben
    fast alle technischen Mittel genutzt, die Durchschnitt-PCs heutzutage
    haben. Aber um auf die Frage nach dem Risiko zurueckzukommen: Wir
    hatten alle ein wenig Angst, und Angst motiviert hervorragend.
    Anscheinend waren wir motiviert genug, denn bis jetzt sind wir
    erfolgreich -- um die Zukunft brauchen wir uns im Augenblick keine
    Sorgen zu machen.

    POWER PLAY: Deine Spiele fuer Infocom und auch Timequest haben ja
    alle viel mit Geschichte zu tun. Hast Du Geschichte studiert oder ist
    das nur ein Hobby?

    BOB BATES: Nur ein Hobby, und ein relativ junges dazu. Ich habe
    Soziologie und Philosophie studiert und mich als Fremdenfuehrer in
    Washington D.C. durchgeschlagen. Das machte mir Spass und lief ganz
    gut, deswegen hatte ich sogar eine Zeit lang eine eigene
    Fremdenfuehrerfirma. Aber mein Traum zu der Zeit war, ein Buch zu
    schreiben. Also habe ich meine Firma verkauft und das Geld so
    eingeteilt, dass ich davon leben konnte, waehrend ich das Buch
    schrieb. Mit den ersten Manuskripten ging ich zu einem Verleger, dem
    das Ganze gefiel und mich nebenbei fragte: "Wann soll das Buch denn
    fertig sein?". [sic] Ich antwortete [sic] "Na, in etwa fuenf Jahren".
    [sic] Zum Glueck war ich an einen guten Verleger geraten. Er rechnete
    mir vor, was ich mit dem Buch verdienen koennte, und dass mich das
    Honorar auf gar keinen Fall fuenf Jahre ernaehren wuerde.

      Zu dieser Zeit hatte ich mir gerade einen Computer gekauft, um mein
    Buch mit einer Textverarbeitung zu schreiben. Ein Freund von mir
    schenkte mir dazu ein "Zork". Ich war vollkommen fasziniert, sagte
    mir aber: "Das kannst du auch! (und da verdient man sicher nicht
    schlecht)". [sic]

    POWER PLAY: Also hast Du Infocom angerufen und gefragt, ob sie noch
    einen Autoren brauchen?

    BOB BATES: Nein, so war es nicht ganz. Ich dachte mir, ich mache
    meine eigene Firma fuer Adventures auf, weil ich doch andere Spiele
    als Zork im Sinn hatte. Aber ich wollte nicht ganz bei Null beginnen.
    Also sagte ich mir: "Vielleicht verkauft mir jemand sein
    Entwicklungssystem." Ich rief einfach mal bei Infocom an. Zuerst war
    ich schockiert: Ich sprach mit dem Geschaeftsfuehrer und sagte offen
    heraus: [sic] Ich will euer Entwicklungssystem kaufen und eigene
    Spiele machen. [sic] Ich erwartete hysterisches Gelaechter oder
    zumindest, dass die ganz schnell wieder auflegen. Ganz im Gegenteil,
    sofort zeigte Infocom Interesse: Was fuer Spiele sollten das sein,
    warum waeren sie anders, wie gut koennte ich programmieren... Am Ende
    des Gespraechs hatte ich eine Einladung fuer ein
    Vorstellungsgespraech.

    POWER PLAY: Aber um auf die Frage mit der "Geschichte"
    zurueckzukommen...

    BOB BATES: Waehrend meiner Zeit als Fremdenfuehrer musste ich mich
    zwangslaeufig mit amerikanischer Geschichte auseinandersetzen, das
    wollten die Touristen ja wissen. Da begann mir Geschichte auf einmal
    Spass zu machen. Ich hab immer mehr Geschichtsbuecher gelesen und
    daraus ein Hobby gemacht. Meine Spiele haben deswegen viel mit
    Geschichte zu tun, weil mir das Thema gut liegt und sich dann
    natuerlich einfach ein Adventure schreiben laesst. Das war ja das
    "Neue" an den drei Spielen, die ich fuer Infocom schreiben wollte.

    POWER PLAY: Drei? "Sherlock Holmes", "Arthur" und...

    BOB BATES: Das dritte Spiel waere ein Robin-Hood-Spiel gewesen, aber
    das war noch lange nicht fertig, als Infocom endgueltig zumachte. Ich
    wollte zuerst dieses Spiel bei Legend zu Ende fuehren, aber dann
    wurde doch "Timequest" daraus, um mehr Leute anzusprechen. Ich muss
    zugeben, dass reine Geschichtsspiele sehr langweilig waeren.
    Science-fiction ist hingegen spannend. Also habe ich die Zeitmaschine
    als Aufhaenger fuer ein Spiel benutzt, das jede Menge leicht
    verdauliche Geschichte bietet. Robin Hood ist ja auch in einer
    Episode kurz enthalten.

      Man muss halt immer die Balance halten zwischen einem Spiel, das
    dem Programmierer gefaellt, und einem Spiel, das sich gut verkauft.
    Eine Handlung, die den Spieler anspricht, ist ohne spielerisches
    "Fleisch" drumherum keine Garantie fuer Erfolg. Aber wenn das Fleisch
    kein vernuenftiges Handlungsgerippe hat, mag es noch so gut sein:
    keiner [sic] wird das Spiel kaufen.

    POWER PLAY: Eine knifflige Frage: Wie gut ist Euer Parser gegenueber
    dem von Infocom?

    BOB BATES: Das kann man so nicht beantworten. Unserer ist anders
    aufgebaut, weil er nicht, wie der von Infocom, an 8-Bit-Computer mit
    64 KByte RAM gebunden ist. Ausserdem haben wir viele Dinge anders
    angepackt als Infocom. Einige wirklich ausgefeilte Sachen des
    Infocom-Parsers packt unserer nicht; aber das sind Dinge, die
    praktisch nie in einem Adventure auftauchen.

      Entscheidender als der Parser an sich ist sowieso immer, was der
    Designer aus dem Parser macht. Ein Beispiel: Die Wortlisten unserer
    Spiele sind so abgestimmt, dass es viele Wege gibt, eine Aktion
    auszuloesen. Wir packen viele Synonyme fuer die Objekte rein. Wenn im
    Spiel immer nur von Gardinen die Rede ist, bauen wir trotzdem das
    Wort "Vorhang" in die interne Wortliste ein, weil manche Leute zwar
    Gardine verstehen, aber beim Sprechen immer Vorhang verwenden.
    Solange man beim Eintippen nicht auf "Ich verstehe dich nicht"
    stoesst, sollte dem Spieler der Parser gar nicht auffallen. In dieser
    Hinsicht haben wir unsere Hausaufgaben gemacht.

    POWER PLAY: Es mehren sich die Geruechte, dass Legend-Spiele
    demnaechst auch fuer den Amiga kaemen. Was ist da dran?

    BOB BATES: Wer setzt denn solche Geruechte in die Welt? Gearbeitet
    wird zur Zeit nicht an Amiga-Versionen, nachgedacht natuerlich schon.
    Wenn wir Umsetzungen machen sollten, dann als erstes auf den Amiga,
    das ist klar. Aber im Augenblick koennen wir uns Amiga-Adaptionen
    noch nicht leisten.

      Wir sind eine junge Firma und muessen auf jeden Cent achten. In
    Europa, dem grossen Amiga-Markt, muessen wir erst richtig erfolgreich
    sein, damit sich die Umsetzung lohnt -- denn, [sic] wenn wir
    umsetzen, dann richtig und nicht halbherzig. Eine technisch gute
    Amiga-Version wuerde aber einiges kosten.

    POWER PLAY: Eure Benutzerfuehrung, die ohne Eintippen auskommt, waere
    ja auch auf die neuen Videospiele umsetzen, [sic] zumindest auf die
    mit CD-ROM...

    BOB BATES: Das ist richtig, aber das war nicht unser Ziel. Als wir
    mit Legend loslegen wollten, habe ich erstmal ein paar Freunde
    eingeladen, Adventures zu spielen. Die Idee sprach sie an und sie
    legten los: "Also ich will mal den Ball nehmen." Der rechte
    Zeigefinger streicht ueber die Tastatur, findet das "T", drueckt die
    Taste. Dann suchen die Augen das A, der Finger kommt nach, wieder
    eine Taste. Bis der Befehl "take ball" eingetippt war, vergingen gut
    und gerne 30 Sekunden. Da dachte ich mir: Die Leute werden nie ein
    Adventure zu Ende spielen. Irgendwann sind sie von der Tipperei
    frustriert.

      Aber die reinen Symbolspiele sprechen mich auch nicht an. Zum einen
    sind die Spiele nicht flexibel genug. Es gibt zu viele
    Beschraenkungen bei den Puzzles, wenn es nur "take", "drop" und "use"
    gibt. Und zum zweiten bin ich nun mal ein schneller Tipper. Ich kann
    komplizierte Eingaben schneller machen, als jeder normale Mensch mit
    einer Maus ueber den Bildschirm faehrt. Und es gibt auf der Welt noch
    mehr Leute, die Adventures mit Texteingabe moegen.

    POWER PLAY: Hast Du konkrete Plaene?

    BOB BATES: Ja, aber die will ich noch nicht verraten, damit mir die
    Konkurrenz nicht zuvorkommt. Lasst Euch ueberraschen.

Das Interview mit Bob Bates fuehrte Boris Schneider.