(SZ) Jeder, der nicht traurig ist, hat doch ein trauriges Bild im
  Kopf, irgendeines. Unvermittelt und für Momente nur überlagert es alle
  anderen Bilder, ehe es, ebenso plötzlich, wieder verschwindet. Auf
  unserem Bild ist, weiß der Teufel warum, Boris Becker. Nicht der
  frühe, unbedarfte, aber auch nicht der späte, lächerliche, sondern der
  verfolgte, suchende Boris. Er sitzt allein in einem Auto. Er fährt
  stundenlang so gleichmäßig, wie der Verkehr der Großstadt, in den er
  sich eingereiht hat, es zulässt. Alle paar Sekunden belichtet fahler
  Laternenschein sein ohnehin bleiches Gesicht, kalkt es, weißt es,
  kratzt ihm die Konturen aus. Becker scheint ohne Ziel. Verloren starrt
  er durch die Frontscheibe; durch die Wagenkolonne vor ihm; durch die
  Profile der über die Zebrastreifen eilenden Menschen. Ja, das ist
  unser Bild für Traurigkeit, seit langem, seit dem Interview, in dem
  er, Boris, sagte, manchmal miete er ein Auto und fahre durch die
  Straßen, nur, um allein zu sein, nur, um Ruhe zu haben. Damals konnte
  man seinen späteren Absturz ahnen. Er hatte schon kein Zuhause mehr,
  er musste, um trügerische Gelassenheit zu finden, in den Verkehr
  flüchten, dem wir zu entkommen suchen.

  Unbekannt die Zahl der Armseligen, die es ähnlich halten, die sich,
  wahlweise, in Bus oder Tram setzen und von Endstation zu Endstation
  pendeln. Doch täuscht der Eindruck, dass es auch einen gegensätzlichen
  Trend gibt? Dass die Leute, wenn sie sich hinters Steuer klemmen,
  unbedingt ankommen wollen, an einem Ort, bei einer Person? Oh ja, so
  ist es, die Meldungen der letzten Tage deuten sogar auf eine bisher
  unbekannte Konsequenz hin. Radoslav Pilj aus Zagreb, so heißt es,
  fährt mit seinem Mazda immer bis in sein Wohnzimmer, und ein
  Braunschweiger, dessen Name nicht überliefert ist, pflegt mit seinem
  Mercedes durch die automatische Tür seines Supermarktes zu surren,
  sich, trotz seiner 84 Jahre, gekonnt zwischen Aktionsständen und
  Einkaufswagenketten hindurchzuschlängeln und erst unmittelbar vor der
  Pfandflaschenrückgabe zu halten. Das Personal akzeptiert das. Stumm
  nimmt es die leeren Kisten entgegen, und vielleicht, vielleicht,
  streift es noch verstohlen und ehrfürchtig über die perfekte Rundung
  des Sterns auf dem Kühler.

  Ehrfürchtig nicht des Mercedes, sondern der stoischen Sicherheit
  wegen, die sich gerade wieder manifestiert hat. Niemand auf der Welt
  ist gelassener als der Kroate und der Braunschweiger, auch wenn deren
  Verhalten auf den ersten Blick etwas fiebrig wirkt. Können sie denn
  nicht dort parken, wo alle parken, müssen sie auch noch hinein in die
  Gebäudeschlünde? Aber sicher müssen sie. Es ist der Verzicht auf
  jegliches Herumirren, die Aufhebung alles Halbherzigen, das Tilgen
  kleinster Distanz, eine majestätische Aufforderung an uns alle: Ihr,
  die Ihr ein Ziel habt, fahret nur dahin!