(SZ) Radfahren? Wahrscheinlich gibt es keine Sportart, die ihren
Helden eine so prachtvolle Bühne hinstellt wie das Radfahren. Die
Gegner eines Radfahrers sind nicht einfach Menschen, es sind die Berge
der Alpen, die er mit seinem Velo bewältigen muss. Wer es schafft,
allein auf die Zielgerade zu kommen, hat allen Applaus für sich. Dann
fährt er, das Hemd über der Brust aufgerissen, durch ein Spalier von
Fans; über Straßen, auf die Fans seinen Namen gemalt haben. Das
Gesicht des Radfahrers ist am Ende einer Etappe verzerrt vor
Anstrengung, und im Moment der Zieldurchfahrt sieht er wie sein
eigenes Denkmal aus. Die Füße ruhen in den Pedalen, eine Faust wächst
in den Himmel, die Augen sind geschlossen, und das einzige, was sich
an ihm bewegt, ist die Hand, mit der er sich bekreuzigt.
Sagten wir nicht, dass Radfahren sich auf einer Bühne vollzieht? Oh
ja, und auf dieser Bühne war Marco Pantani ein Hauptdarsteller, nicht
allein bei Solofahrten. Auch im Pulk war er nie kleiner Teil eines
Ganzen, sondern immer ein Solitär. Vom Beobachtungshubschrauber aus
konnte man seine Glatze glitzern sehen, und wenn die Kamera näher
heranfuhr, fing sie ein: den Piratenohrring, den nur er trug. Seine
Ohren, die vom Kopf abstanden wie bei einem Elefanten. Elefantino
nannten sie ihn, il piratino, und den Kurs des Giro d'Italia bauten
dessen Organisatoren im Jahr 1999 so, dass eine Etappe durch seinen
Heimatort Cesenatico führte, damit er sich der Mamma und allen aus der
Familie präsentieren konnte. Dieser Giro war der Höhepunkt der
Inszenierung um den kleinen Elefanten, und er war der Anfang vom Ende.
Man nahm ihn kurz vorm Finale aus dem Rennen, wegen Dopingverdachts,
und von da an führte der Parcours durch Labors und Gerichtssäle. So
wütend Marco Pantani sich fortan verteidigte, so beharrlich er
schwieg, so verzweifelt er Verschwörung witterte - er konnte nicht den
Vorwurf entkräften, sich gedopt zu haben. Und sich gedopt haben
bedeutet ja: ein Betrüger sein.
Warum betrügt ein Sportler? Aus Gier, aus Dummheit. Um ein Held zu
werden oder um einer zu bleiben. Weil er keinen Manager hat, noch
nicht mal einen Arzt oder einen befreundeten Reporter, der ihm sagt:
Hör auf, du machst dich kaputt. Radfahren ist ein verseuchter Sport,
in dem Fahrer zu Tätern werden. Aber diese Täter haben immer eine
Menge Mitwisser und Profiteure, zu denen irgendwie auch die Zuschauer
gehören, die mit ihrem Geld und ihrer Begeisterung und ihrer
Heldensucht ein Räderwerk am Laufen halten, in dem Marco Pantani, 34
Jahre alt, am Ende zerrieben wurde. Er starb, depressiv, ausgehöhlt,
allein, in einem Hotelzimmer in Rimini. Er starb auf einer Bühne. Als
sein Sarg aus dem Hotel getragen wurde, standen 200 Fans Spalier. Und
applaudierten.