(SZ) Bremen? Was wird dem Menschen in Bremen schon geboten? Ein Leben
auf dem 53. Breitengrad, nicht fern vom Meer, aber auch nicht so
richtig nah dran. Dauernd stürmt und regnet es. Zum Grünkohl verspeist
man eine eigentümliche Grützwurst namens "Pinkel". Das Bremer Bier,
bestes Becks in grünen Flaschen - längst aufgekauft von einer
belgischen Großbrauerei. Die Werfthallen sind verwaist, dafür gibt es
noch Punks in der Stadt, richtige Achtziger-Jahre-Punks mit zum Himmel
gezwirbelten Haaren, die manchmal an Silvester die
Schaufensterscheiben einschmeißen, von den paar Geschäften, die noch
nicht Pleite gegangen sind. Darüber hinaus werden in Bremen brutale
Tatorte gedreht, in denen Menschen an Fleischerhaken ausbluten, und in
schlimmen Inszenierungen sitzen Schauspieler nackt auf dem Altar - da
schimpfen die Menschen von der Kirche und von der Bild-Zeitung sehr.
Kein Wunder, dass Bremen Letzter ist in der Pisa-Studie, Letzter auch
in der Iglu-Studie. Wenn man im Internet die Begriffe Bremen und
Schlusslicht eingibt, stellt man fest, dass sie fast eine symbiotische
Beziehung pflegen, wie Ernie und Bert oder Black & Decker.
Aber jetzt wird alles anders. Jetzt kommt der Fußball und entfaltet
seine heilende Kraft. Man soll ihn nicht überbewerten, den Fußball,
aber er kann nun mal ganze Nationen aus der Depression reißen, er kann
aus Ghettokindern Helden machen, er kann alles, und alles können
bedeutet: den Letzten zum Ersten werden lassen. Werder Bremen, mit
seinem leicht kugeligen Brasilianer Ailton und seinem schwer begabten
Franzosen Micoud, hat kunstvoll gespielt die ganze Saison, und jetzt
ist zur Kunst auch noch das Glück gekommen. In einem Pokalspiel in der
letzten Minute ein 1:2 noch fortzuhexen, das Manchester-Trauma des FC
Bayern sozusagen umzudrehen - das ist mehr als ein Sieg, das ist ein
Zeichen an die Bremer: Hört her, diesmal ist alles möglich! Diesmal
brecht ihr nicht ein wie sonst immer, wenn es drauf ankommt, diesmal
wird Ailton allen Verteidigern davonrollen und Johan Micoud, Monsieur
le regisseur, wird den Ball beherrschen, als wäre der ein gut
dressierter Hund.
Übrigens kickt die Mannschaft in einer Kluft, die an Ärmeln und
Strümpfen ins Orangefarbene spielt. Orange kommt in Fußballertrikots
selten vor, auch deshalb, weil es nicht für Erfolg steht. Orange ist
eher die Farbe der Müllabfuhr. Auch auf das Preis-Leistungs-Verhältnis
bedachte Firmen wie Obi oder Plus tragen es im Wappen, und
Wissenschaftler, die sich da auskennen, behaupten, Orange würde mit
Aufdringlichkeit und Billigkeit assoziiert. Orange ist ein bisschen
wie das Image der Stadt Bremen. Aber wenn die Bremer Fußballer so
weiterspielen, stellen sie nebenbei auch noch die Farbpsychologie auf
den Kopf.