(SZ) Sehr verehrte Frau Netrebko, oder dürfen wir Sie mit "liebe Anna"
  anreden, weil Ihnen dem Stern zufolge doch jeder "verfällt", der Ihnen
  begegnet, und wir sind Ihnen immerhin schon auf einer CD begegnet! Wir
  schreiben Ihnen diesen offenen Brief, weil Sie möglicherweise die
  Abendzeitung vom Dienstag nicht gelesen haben, in der drei an Sie
  gerichtete Liebesbriefe (bzw. "Billetdoux", wie das Blatt schelmisch
  formuliert) abgedruckt sind. Sie können sich schon denken, was darin
  steht: dass es eine wunderbare Zeit mit Ihnen war, dass "der Hype" Sie
  hoffentlich nicht zu sehr angreift und dass Sie um Gottes willen auf
  die Fortentwicklung Ihrer Stimme achten sollen. Sie hinterlassen ein
  verwüstetes München. Allenthalben trifft man Leute, die den Tag ihrer
  Geburt verfluchen, weil sie keine Karten für die "Traviata" bekommen
  haben. Willenlos treiben sie durch die Straßen und fragen sich, was
  sie nun mit dem Wörterbuch machen sollen, das sie in Ihr Herz hätte
  führen sollen. Ty moschysch njeskalka dnjej paschyt u minja, hatten
  sie Ihnen ins Ohr flüstern wollen, "du kannst gern einige Tage bei mir
  wohnen". Was hätten Sie geantwortet? Vielleicht smojßja, "verpiss
  dich".

  Ganz schlimm hat es Stephan Braunfels erwischt, unseren
  Lieblingsarchitekten, den Erbauer der Pinakothek der Moderne. Mit dem
  sind Sie ja am Samstag durch "seine" Pinakothek gegangen, und zwar so
  geheim, dass er es der Abendzeitung exklusiv schildern musste. Wir
  waren fast starr vor Entsetzen, als wir lasen, dass Sie, Anetschka,
  ihn mehrmals fragten, wie "man sich so ein Gebäude ausdenken" könne.
  Braunfels ist ein extrem sensibler Mann, und er könnte das durchaus
  als Kritik aufgefasst haben - im Sinn von: Wie zum Teufel kann man
  sich so ein Gebäude ausdenken? Wenn er es aber für ein Lob genommen
  hat, dann muss es ihm seine notorische Bescheidenheit verwehrt haben,
  die Frage wahrheitsgemäß zu beantworten. Wir hören ihn förmlich
  stammeln: "Wie man sich so was ausdenken kann? Keine Ahnung, ist doch
  nicht der Rede wert. Die paar Steine, das baut sich doch von selbst."

  Eine einzige kleine Frage müssen wir noch loswerden, golubuschka, Du
  Täubchen. In seinem Billetdoux schreibt Bayerns neuer Kultusminister
  Thomas Goppel, es gebe nun in München "mindestens zwei Chefredakteure
  mit irreparabel gebrochenem Herzen". Handelt es sich dabei womöglich
  um . . . - doch wozu Namen nennen, wo Sie doch, wiederum laut Stern,
  "schwarze Augen" haben, "die jedem alles versprechen". Jedem? Alles?
  Neuerdings hört man die towarischtschi Chefredakteure bei offener Tür
  russische Arien singen, beispielsweise Tschaikowskys "Ein jeder kennt
  die Lieb' auf Erden", ehrlicherweise mit besonderer Betonung der Zeile
  "des reifen Alters Leidenschaft"? Was, Anna Netrebko, haben Sie den
  Burschen versprochen?