(SZ) Im Duden ist zwischen den Einträgen durchschnüffeln und
Durchschreibeblock so wenig Platz, dass, um es im Politikerjargon zu
sagen, "kein Blatt Papier dazwischenpasst", geschweige denn ein
anderes Wort. Und genau in diese eigentlich gar nicht vorhandene Lücke
hat sich das Tempo-Taschentuch gequetscht. Das heißt: nicht das
Taschentuch selbst, sondern die zu seinem Lob erfundene
Qualitätsbezeichnung durchschnupfsicher. Es handelt sich dabei um eine
schon insofern interessante Wortbildung, als man, wie seinerzeit
Wolfgang Hildesheimer in Bezug auf mündelsicher, fragen kann, ob das
Tempo für den Durchschnupf sicher ist oder vor ihm. Daran schließt
sich die weitere Frage, was unter einem Durchschnupf zu verstehen ist.
Das Korrekturprogramm will ihn, wie zu erwarten, in Durchschlupf
verwandeln, doch würde das den Durchblick eher trüben als fördern.
Gut, dass durchschnupfsicher auf der Packung auch ins Polnische
übersetzt ist: wytrzymale, also zäh oder strapazierfähig. So gesehen
bewahrt uns die Durchschnupfsicherheit davor, dass wir nach dem
Schneuzen das in Händen halten, was ins Tuch gehört.
Vor 75 Jahren wurde die Marke "Tempo" beim Reichspatentamt in Berlin
angemeldet. Was dieses leicht schräge Jubiläum weit über vergleichbare
Anlässe erhebt, ist der Umstand, dass es das Tempotaschentuch
geschafft hat, aus der Beschränkung eines Markenartikels
hinauszutreten und sich, wie etwa auch "der Tesafilm" oder "das
Maggi", als Ding an sich zu etablieren. Landläufig nennt man
dergleichen heutzutage einen Quantensprung, und wenn das auch meist
völliger Unsinn ist, so muss man die Szene, in der "das Tempo" wirkt
und west, doch entsprechend weit aufreißen. Deren eine und sehr
profane Grenze wäre dabei der Schnupfen. Er "hockt", wie der Dichter
Morgenstern singt, "auf der Terrasse, auf dass er sich ein Opfer
fasse". Noch im Fassen tritt ihm jedoch, fast hätten wir gesagt: "in
lichter Waffen Scheine", das Tempo entgegen, dem seine Verdienste
freilich auch dadurch vergolten werden, dass Papiertaschentücher
jeglicher Provenienz an seiner Seite marschieren und sich diebisch
freuen, wenn sie ebenfalls "Tempo" genannt werden. Ohne ihnen nahe
treten oder gar ihre je eigene Durchschnupfsicherheit anzweifeln zu
wollen: Sie profitieren (und damit stehen wir an der anderen, der mehr
geistigen Grenze) von dem, was die Fachleute Dingbedeutsamkeit nennen
und was das Tempotaschentuch befähigt, zur Lesbarkeit der Welt im
Sinne Hans Blumenbergs sein Scherflein beizutragen.
Um noch einmal auf das Wort durchschnupfsicher zu kommen: Viele
Papiertaschentuchhersteller produzieren auch Klopapier, und mit nicht
geringer Sorge warten wir auf den Tag, an dem sie uns dafür ein
ähnlich griffiges schmückendes Beiwort anbieten.