(SZ) "Die weißen Tauben sind müde, sie fliegen lange schon nicht mehr.
Sie haben viel zu schwere Flügel, und ihre Schnäbel sind längst leer."
Gesungen hat das Hartz - nicht Hartz eins, nicht Hartz zwei, sondern
Hans Hartz, der mit der Reibeisenstimme, gestorben im November 2002.
Traurig ist das, traurig wie das ganze Lied: Morgen schon gibt's
Wasser statt Wein und Steine statt Brot, und bald reißt die ganze Welt
von der Leine. (Vorher gibt's noch Praxisgebühren und Dschungelcamps,
und der Bundespräsident wird in einer Casting-Show ermittelt, aber das
konnte noch niemand wissen, als der Text geschrieben wurde.) Klar ist
jedenfalls, dass La paloma blanca, die Schöne, die Friedliche,
angesichts solcher Aussichten die Fliege macht.
An die Stelle der weißen Taube aber tritt, solange die Welt noch am
letzten Faden der Leine hängt, die gemeine Stadttaube, welche stets
den Schnabel gefüllt hat und die urbanen Fassaden stärker verändert,
als es Baubehörden und Architekten in ihrem teuflischem Zusammenspiel
je vermochten. Netze spannen sich vor historischem Gemäuer.
Stachelbänder spreizen sich von den Simsen und verwandeln die Gebäude
in Hochsicherheitstrakte, damit die Statik nicht unter Bergen von
Guano leidet. Verzweifelt suchen Stadträte nach Gegenmitteln. Abschuss
ist unmöglich wegen der Tierschützer, die zur Geburtenkontrolle raten.
In Großbritannien kamen schon Falken zum Einsatz, versagten aber wegen
der schieren Masse an Beute. Frankfurt wagt nun einen neuen Versuch
mit Wüstenbussarden, welche die Tauben von der frisch sanierten
Fassade der Alten Oper vertreiben sollen. Harris Hawk, der
bussardähnliche Habicht aus den Wüsteneien Arizonas und Mexikos, er
soll es nun richten als tierische Ordnungsmacht.
Wer es je mit Stadttauben aufgenommen hat, wünscht ihm viel Glück,
denn das wird er brauchen. Über die zur Abschreckung aufgestellten
Krähenattrappen lachen die Vögel nur. Hier vertrieben, sammeln sie
sich dort. Vor ihrer Geburtenrate würden Karnickel den Hut ziehen,
wenn es Hüte gäbe, die über Karnickelohren passen. Hochgepäppelt von
den nächtlichen Stoßtrupps älterer Damen, können sich Tauben voll und
ganz der Paarung widmen. (Nebenbei: Wer kann erklären, warum so viele
Frauen, bevor sie Männer haben, in der Pferdeliebe aufgehen, nach dem
Tod ihrer Männer sich aber für Vögel verzehren?) Groß wird die
Versuchung sein für Harris Hawk, sich leichtere Beute zu suchen in
Frankfurt - wie der Wüstenbussard namens Harry, der sich letzten März
auf einer Vogelschau in der britischen Grafschaft Yorkshire statt des
in die Menge geworfenen Stoffkaninchens die Perücke eines Zuschauers
krallte. Frankfurter, schaut nach oben, wenn ihr an der Alten Oper
vorbeigeht!