(SZ) Jeder kennt sie, die Geschichten von den Verblichenen, die
  behördlicherseits mit Mahnbescheiden und Gebühren überzogen werden,
  als könne man ihnen noch im Jenseits das letzte Hemd ausziehen. In
  dieser Welt tritt der wirkliche Tod gelegentlich erst mit Aktenvermerk
  ein. Üblicherweise hält man sich aber an die Nachfahren, welche beim
  Studium der Friedhofssatzung lernen, wie die gebotene Pietät in der
  Sprache des Gesetzesvollzugs zum Ausdruck kommt. Daneben gibt es Fälle
  wie den des Berliner Milchhändlers Carl Bolle, der wegen einer letzten
  Ruhestätte schon zu Lebzeiten komplizierte Rechtsfragen aufwarf. Das
  zweigeschossige, vier mal zehn Meter umfassende Familiengrab war auch
  mit Sitzgelegenheiten für die trauernden Angehörigen ausgestattet,
  weshalb es von der Stadt Schöneberg als Wohngebäude eingestuft und mit
  schier überirdischen Erschließungskosten belegt wurde. Letztlich kam
  den Bolles das Argument zu Hilfe, dass kein Wasseranschluss vorgesehen
  sei.

  Wenn auch in vieler Hinsicht nicht vergleichbar, so verstört die vom
  Finanzamt verfügte Pfändung der Strauß'schen Familiengruft im
  bayerischen Rott am Inn in ähnlicher Weise. Es handelt sich hier
  immerhin um ein Pilgerziel von überregionaler Bedeutung. Als der
  Ministerpräsident im Herbst 1988 bestattet wurde, säumten
  Ehrenkompanien und Salutzüge der Gebirgsschützen das Mausoleum,
  Staatsmänner aus aller Welt fanden sich ein. Zu der sakralen Aura
  eines solchen Ortes kommt also noch das Fluidum der
  freistaatsbürgerlichen Weihestätte; in eine solche Sphäre mit
  Pfändungsbeschluss einzudringen, kommt nun für viele im Land einer
  Tempelschändung gleich, mag die Sache nach den Buchstaben des Gesetzes
  noch so rechtens sein. Immerhin: Auf das Anbringen des Kuckucks haben
  sie verzichtet.

  Dass und wie der Gruft-Miteigentümer Max Strauß gleichzeitig vor
  Gericht steht, gibt dem Ganzen vollends etwas Unwirkliches: ein einst
  vor Kraft strotzendes, nun sediert wirkendes Mannsbild, das irgendwann
  jedes Maß verloren und sich an seiner Maßlosigkeit furchtbar
  verschluckt haben muss - mit schweren Folgen. Es heißt, er habe kein
  Vermögen mehr, auch deshalb der vorsorgliche Zugriff auf das
  Familiengrab. Das wird auch "Kaisergruft" genannt, weil Straußens
  Gattin Marianne, geborene Zwicknagel, dem Brauergeschlecht der Kaiser
  entstammte, was die Sache erst recht mysteriös macht. Eine andere
  Grabstätte dieses Namens, auch Kapuzinergruft genannt, gibt es in
  Wien, nur dass dort zwölf Kaiser, neunzehn Kaiserinnen und Königinnen
  sowie an die hundert Erzherzöge bestattet wurden - allesamt vorher
  ihrer Herzen beraubt. Wie die Finanzbeamten? Vielleicht. Ein Trost
  könnte es aber sein, dass sie manchmal zu allen gleich herzlos sind.