(SZ) Das ganze Elend begann mit dem Turmbau von Babel, der dem Herrn
so missfiel, dass er herniederfuhr, um die Sprache der Menschenkinder
zu verwirren und diese selbst über die Erde zu zerstreuen. Seitdem
haben wir nicht nur etliche tausend Sprachen, sondern auch das
Problem, dass man von der einen in die andere meist nicht eins zu eins
übersetzen kann. Was haben die Deutschen bei der Sache abgekriegt? Im
16. Jahrhundert behauptete Johannes Goropius Becanus, das Deutsche sei
von den Vorgängen nicht betroffen gewesen, weil die ersten Deutschen
beim Turmbau nicht mitgewirkt hätten. Wahrscheinlicher ist, dass sie
an vorderster Front dabei waren und dafür eine Extrastrafe bekamen.
"Wohlan", könnte der Herr gesagt haben, "lasset uns zusätzlich ihre
Zahlwörter durcheinander bringen, auf dass sie bis ans Ende der Tage
einundzwanzig sagen müssen, wo die Engländer twentyone sagen, die
Russen dwatzat odin, die Franzosen vingt et un und die Schweden
tjugoen."
So geschah es, und es blieb nicht einmal die Sippe Schröder verschont,
deren Mitglieder man zu Babel mehr in der Kantine als auf den Gerüsten
gesehen hatte; wenn ihr später Spross Gerhard bei seiner
zukunftsweisenden "Agenda 2010" heute völlig easy zwanzigzehn statt
zweitausendundzehn sagt, so ist das eine andere, wiewohl verwandte
Baustelle. Die Methode, die Zahlen zwischen 20 und 90 auf
gewissermaßen verkehrte, weil mit dem kleineren Wert beginnende Weise
zu bilden, ist im Deutschen mittlerweile so eingewurzelt, dass sie,
über das Abzählen hinaus, zu einem Konstituens unserer kulturellen
Befindlichkeit geworden ist. Die "deutsche Sekunde" beispielsweise
unterscheidet sich von den Sekunden anderer Völker dadurch, dass sie
so lange dauert, bis man in aller Ruhe "einundzwanzig" gesagt hat; die
Variante "zwanzigeins" würde unseren Grundschlag völlig verfehlen.
Ebenso wenig käme ein bräsiges siebzigsieben an das hurtig hüpfende
siebenundsiebzig heran, zu schweigen vom Wegfall des Merkverses "Sechs
mal sechs ist sechsunddreißig / ist der Lehrer noch so fleißig" - mit
dreißigsechs ist dergleichen nicht zu dichten.
Ein Team um den Bochumer Mathematiker Lothar Gerritzen befasst sich am
Montag mit dem "deutschen Zahlenaussprechsystem", vornehmlich unter
dem Aspekt, dass das deutsche mit dem englischen bzw. internationalen
System nicht kompatibel ist und sich daraus Probleme in der
Kommunikation, wenn nicht sogar wirtschaftliche Schäden ergeben.
Sicher wird man dabei auch nach Frankreich blicken und sich fragen, ob
und wie die Schüler dort, wo man die 90 mit quatre-vingt-dix, also
viermalzwanzigundzehn, statt mit etwas zu ninety Passendem wiedergibt,
mit den Herausforderungen der Globalisierung fertig werden. So oder
so: Der Weg von Babel nach Pisa scheint kürzer zu sein, als man denkt.