(SZ) Das Wort Familienbande hat, Karl Kraus zufolge, einen
  Beigeschmack von Wahrheit. Nach den ausufernden Feiertagen werden ihm
  viele beipflichten, froh, die Verwandtschaft endlich nicht mehr
  ertragen zu müssen. Wer fühlt sich nicht erlöst, wenn Onkelbesuche
  oder Tantenübernachtungen enden, wenn Ex-Frauen, Schwiegermütter,
  Söhne, Töchter, Enkel, Neffen, Nichten oder Patenkinder wieder für ein
  Jahr verschwinden: Geht mit Gott, aber geht! Wurden nicht wieder alle
  Ahnungen und Gewissheiten über die Schlechtigkeit der Nächsten
  bestätigt? Hat der Jüngste, Hans, nicht immer einen fatalen Hang zur
  Intrige? Geht Nichte Elsa Onkel August nicht nur wegen der Erbschaft
  so um den Bart? Treibt Eifersucht Schwägerin Elke nicht in den Wahn,
  ihren Herrmann regelrecht zu bewachen, auf dass ihn nicht das Böse in
  Gestalt von Cousine Eva wie ein brüllender Löwe verschlinge?

  Was im Kleinen blüht, wächst sich im Großen zu Verleumdungsgebirgen
  und Verdachtskontinenten aus. Die Königshäuser dieser Welt können
  garstige Lieder ohne Zahl davon singen. Allerdings ging und geht es
  bei ihnen selten brav und ungefährlich zu. Hatte nicht zum Beispiel
  Ludwig XIV. einen Zwillingsbruder, der hinter eiserner Maske unter
  Verschluss gehalten wurde und der eigentliche König werden sollte? Mag
  sein oder nicht, Dumas hat dazu jedenfalls einen tollen
  Verschwörungsroman geschrieben - und Freud hielt die Familie sowieso
  für einen Hort der schlimmsten Verbrechen. Oder, um wieder mal bei
  Shakespeare nachzuschlagen: Julius Caesar, Macbeth, Hamlet, Othello,
  Richard III. - alles Orgien von Verschwörungen mit tödlichem Ausgang.
  Zu solch einer Tradition passt der Brief der unglücklichen Lady Di
  gut, in dem sie den Gatten verdächtigt, er plane einen für sie
  tödlichen Autounfall. Was für eine Vorstellung: Nachts kriecht eine
  Gestalt mit langer Nase, ungeheuer großen Ohren und Werkzeugkasten
  unter den Wagen der schönen Diana, lockert die Bremsbacken, zwickt
  Kabel ab oder treibt sonst eine Teufelei. Nach getaner Untat rollt sie
  belmondoartig hervor und entwischt, um dann als Trauernder mit den
  Söhnen am Grabe zu erscheinen, und das alles nur, um seine Geliebte zu
  freien, wie Diana meinte.

  So gesehen, ist dieser Unfall das letzte Glied einer bisher schon sehr
  aparten Kette: die Autofahrt, die Gracia Patricia das Leben kostete,
  der Selbstmord Marilyn Monroes, die Kennedy-Attentate. Zu all dem gibt
  es nüchterne offizielle Untersuchungen. Für Verschwörungsgläubige ist
  das freilich nur Quatsch. Wie das? Weil bei Prominenten nichts einfach
  so passiert, sondern immer auf geheimnis- und verhängnisvolle Weise.
  Da muss enthüllt und entlarvt werden; die wirkliche Wahrheit, das
  tatsächliche Geschehen muss ans Licht. Am besten fängt jeder gleich in
  der eigenen Familie an.