(SZ) Was war das doch für eine friedliche Zeit, am Ende des
  aufgeklärten 19. Jahrhunderts, als der Dichter Arno Holz in seinem
  gewaltigen Gedichtband "Phantasus" unschuldig schreiben konnte: "Im
  roten Kopftuch / hinter mir / müht sich mein Weib und sammelt die
  Ähren." Heute würden diese Zeilen im so genannten
  Diskussionsfeuilleton wahrscheinlich einen wochenlangen Streit
  entfesseln. Wir reden noch nicht einmal davon, dass das Weib - was für
  ein Unwort für die gleichberechtigte Frau! - hinter ihm sich müht und
  verdammt ist, die Ähren zu sammeln. Während der Holz fröhlich dichtet.
  Unsere Aufmerksamkeit gilt dem noch weit gefährlicheren Wort Kopftuch
  in der ersten dieser politisch weiß Gott überhaupt nicht korrekten
  Zeilen. Warum hat der Dichter das auch noch eingeschmuggelt? Ist das
  Weib eine Muslima? Vielleicht sogar eine
  islamistisch-fundamentalistisch infizierte? Eine, die auf dem
  deutschen Acker Proselyten machen soll?

  In unseren Zeiten ist die Gefahr, die sich in diesem harmlos
  daherkommenden Kleidungsstück versteckt, klar gesehen worden. An ihren
  Tüchern sollt ihr sie erkennen, die Verderber des christlichen
  Abendlands. Das Kopftuch ist ihre Waffe! Da verwundert es doch sehr,
  dass Bundespräsident Rau einen, um das Mindeste zu sagen,
  missverständlichen Zusammenhang zwischen dem brandgefährlichen
  Kopftuch und der grundehrlichen Mönchskutte hergestellt hat: "Wenn das
  Kopftuch gilt als Glaubensbekenntnis, als missionarische Textilie,
  dann muss das genauso gelten für die Mönchskutte, für das Kruzifix."
  Ein sibyllinischer Satz. Ist der Bundespräsident für oder gegen
  Kopftücher? Beide Lesarten sind drin. Nun wacht ja Kurienkardinal
  Ratzinger. Er gab dem Präsidenten gleich scharf eins auf die Mütze:
  Er, Ratzinger, würde keiner muslimischen Frau das Kopftuch verbieten.
  Rau, so ist zu vermuten, wohl aber auch nicht. Die Streitfrage bleibt
  also unentschieden.

  Vielleicht sollte man sich aus dem Kampf der Kulturen heraushalten und
  sich der Bedeckung des Kopfes oder, wie man früher sagte, des Hauptes
  grundsätzlich zuwenden. Sogleich fällt auf, dass in so gut wie allen
  Gesellschaften der wenigstens zeitweisen Schmückung des
  hervorragendsten Teils der menschlichen Gestalt Aufmerksamkeit und
  Kunstfleiß zuteil geworden ist. Schon mancher ägyptische Pharao hüllte
  sein Haupt in ein kostbares Kopftuch. In unseren Breiten erinnern die
  Bildergeschichten Wilhelm Buschs unvergesslich an den Wert der
  wärmenden, schützenden Nachtmütze. Die Kopfbedeckung globalisiert ist
  die Baseballkappe. Behütet sein heißt, einen Hut aufzuhaben. Und so
  weiter. Was in dieser Vielfalt das Haupt des Menschen ziert, sollte
  als Weltkulturerbe unter den Schutz der UNO gestellt werden. Das
  Kopftuchproblem wäre gelöst.