(SZ) Es muss an der Jahreszeit liegen, dass gerade überall
Weihnachtsmänner auftauchen. Eben haben sie einen rauschebärtigen
Menschen aus seinem Erdloch gezerrt, der äußerlich der Vorstellung vom
Weihnachtsmann sehr nahe kam, jedoch sogleich die Behauptung
aufstellte, er sei Saddam Hussein, Präsident des Irak. Wenig später
saß ein Mensch in seinem Berliner Kanzleramt, weihnachtsmannuntypisch
rasiert zwar, aber doch im Begriff, alle großen Menschen mit einer
Steuersenkung zu beschenken. Die kleinen Menschen beschenkte er mit
einer eigenmündig vorgetragenen Weihnachtsgeschichte, einhundert
Kinder aus dem ganzen Land hatten sich zu seinen Füßen versammelt, und
um sie nicht zu verwirren, begann Gerhard Schröder seine Lesung mit
dem großen Satz: "Ich bin nicht der Weihnachtsmann, ich bin der
Bundeskanzler."
Das muss er schon dazusagen mittlerweile, denn es wäre sonst ein
höchst nahe liegender Gedanke, den Bundeskanzler für den
Weihnachtsmann zu halten. Das Arbeitspensum des Weihnachtsmannes zum
Beispiel lässt sich nur bewältigen mit Hilfe absoluter
Hochleistungs-Rentiere, die seinen Schlitten ziehen und ihn befähigen,
überall zugleich zu sein. Der Bundeskanzler war die letzten Tage auch
überall zugleich, hat in Brüssel das Scheitern der europäischen
Verfassung bedauert, zwischendurch Mr. Bush beglückwünscht, später den
Kindern vorgelesen und eine Horde Sternsinger empfangen. All das
vollzog sich tagsüber, nachts aber ging es darum, die Steuerreform
auszuhandeln, und während im Vermittlungsausschuss der
SPD-Fraktionsvize Stiegler in seinem nikolausig roten Wams noch den
großen Satz sprach: "Das Christkind kommt", da kam sogleich der
Kanzler um die Ecke gebraust, unter dem Arm ein Reformpaket, das in
Wahrheit nur ein Päckchen ist, vielleicht nur ein Maxi-Brief, aber was
will man machen. Der Bundeskanzler agiert in diesen Tagen wie ein
Weihnachtsmann in der schlimmen Zeit. Er muss einen leeren Sack als
pralles Bündel verkaufen, er muss sein freundlichstes Gesicht machen,
sein routiniertes Wahlkampf-Weihnachts-Gesicht, das zu den
enttäuschten Bürgern spricht: Ich weiß, ich weiß, ihr habt euch eine
Spielzeugeisenbahn gewünscht, aber in diesem Jahr gibt es eben nur
einen Satz lange Unterhosen.
Die Kinder bei der Lesestunde waren übrigens nicht enttäuscht. Sie
sind so realistisch, die Kinder heutzutage, sind in die Krise
hineingeboren, das klärt den Blick. Tauschen, sagte die elfjährige
Lavinia, würde sie mit dem Kanzler auch nicht: "Wenn der mal einen
Vorschlag macht, kriegt er gleich einen Anschiss von den anderen." Da
lächelte Schröder und rief die Kinder zu sich und schenkte ihnen
Märchenbücher mit vorne was drin: dem Originalautogramm vom Bundesmann
oder Weihnachtskanzler.