(SZ) Wer den vergangenen Sonntag dazu genutzt hatte, im Sturmwind
spazieren zu gehen, einen Christbaum zu kaufen oder ein gutes Buch zu
lesen, der hatte, als er abends die ersten Nachrichten im Fernsehen
einschaltete, ein irritierendes Erlebnis. Er sah, wie sich
Medizinerhände am Kopf eines struppigen alten Mannes zu schaffen
machten, und verwirrt, wie er vom Spazierengehen, Christbaumkaufen
oder Lesen war, mochte er bei sich denken: "Öha, da bin ich wohl aus
Versehen in die Lindenstraße geraten, das ist doch meiner Lebtag der
Harry Rowohlt, scheint ja wieder tüchtig abgestürzt zu sein."
Tatsächlich gehörte der Kopf zu Saddam Hussein, und der könnte, so wie
die Dinge für ihn stehen, froh sein, wenn er als Doppelgänger von
Rowohlt in der Lindenstraße mitspielen dürfte. Hoffentlich redet er
sich bei den Vernehmungen nicht darauf hinaus, der echte Harry Rowohlt
zu sein . . .
Wenn hier ausnahmsweise einmal der Standpunkt des Stammtisches
vertreten werden darf, so hat der Mensch doch seine berechtigte Freude
am adäquaten Untergang von Tyrannen. Adäquat bedeutet in diesem
Zusammenhang, dass der Tyrann nun einstecken muss, was er bisher
ausgeteilt hat, dass ihm Gleiches mit Gleichem vergolten wird, Aug' um
Auge und Zahn um Zahn. Das heißt, so viele Augen und Zähne hat der
Tyrann natürlich gar nicht, dass man da zu einem halbwegs gerechten
Ausgleich käme, und insofern ist der Mensch, der Stammtischler
jedenfalls, schon zufrieden, wenn der Unhold ohne größere Umstände zur
Hölle fährt. Leider spielt das Leben dabei oft erbärmlich schlecht
mit, und darum kommen auf den einen Diktator, der massakriert wird
oder sich selbst aus der Welt schafft, in aller Regel zehn andere, die
irgendwo unterschlüpfen und sich für die Schimpflichkeit ihres
Ruhestands schadlos halten, indem sie die dem Volk abgepressten
Millionen verzehren. Soweit der Stammtisch in seiner Einschätzung der
zeitlichen und ewigen Gerechtigkeit, von der er sich auch im Fall
Saddam vorderhand wenig Gutes verspricht.
Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch an die
Nachkriegszeit, in der der Schularzt seine Untersuchung damit
einzuleiten pflegte, dass er die Haare der Kinder förmlich umpflügte,
um den dort nistenden Läusen auf die Spur zu kommen. Danach drückte er
den Kleinen mit einer fad schmeckenden Holzspatel die Zunge nach unten
und befahl ihnen, "Aah" zu sagen. Ob sich Saddam in seinem Erdloch die
Läuse oder einen belegten Rachen geholt hat, wissen wir nicht. Wenn
ja, wird es ihm an medizinischer Hilfe nicht mangeln, wie es überhaupt
ein Zeichen unaufhaltsamer Humanität ist, wenn der Mann, der als eines
der größten Scheusale in die Geschichte eingehen dürfte, bei seiner
Verhaftung öffentlich auf Läuse und womöglich auch noch entzündete
Mandeln untersucht wird.