(SZ) In der englischen Stadt Reading hat der Nikolaus einen
  Strafzettel bekommen, weil sein Schlitten im Halteverbot stand. Das
  heißt: Ob der Parksünder wirklich der Nikolaus war, ist eher fraglich,
  denn heutzutage hat ja längst der Weihnachtsmann die Oberhand
  gewonnen, ein übergewichtiger Zipfelmützenträger im roten Pelz, der in
  den dreißiger Jahren für Coca-Cola Reklame machte und seitdem als
  Großvater aller Schnäppchen das vorweihnachtliche Geschäft belebt. Dem
  geschähe es grad recht, wenn er ein Bußgeld bezahlen müsste; die
  englische Polizei lässt es hoffentlich nicht an Strenge fehlen. Sollte
  aber doch der Nikolaus betroffen sein, dann, Polizei: Hände weg!
  Knöllchen zurücknehmen! Amnestie! Niklaus ist ein guter Mann. Hat
  schon im vierten Jahrhundert Wohltaten vollbracht, sogar Wunder, wie
  später nur noch die Helden von Bern. Und heute muss er allein in
  Deutschland bei 10 485 024 Kindern vorsprechen, da bleibt für die
  Parkplatzsuche gerade mal eine tausendstel Sekunde.

  Nikolaus hin, Weihnachtsmann her - der Fall zeigt deutlich, dass
  selbst bei der Obrigkeit der Respekt für heilige Männer verloren
  gegangen ist. Sankt Nikolaus, der in Kooperation mit seinem Knecht
  Ruprecht jahrhundertelang verhindert hat, dass aus Kindern
  Prügelprinzen oder Effenbergs werden, gerät auch pädagogisch zunehmend
  ins Abseits, und das mit Billigung der Experten. "Wenn du nicht brav
  bist, steckt dich der Nikolaus in den Sack" - bis vor kurzem galt das
  als Zauberwort, um böse Buben ruhigzustellen, zumindest für
  zweieinhalb Minuten. Was aber behauptet der Braunschweiger Psychologe
  Christoph Kröger: "Drohungen mit dem Weihnachtsmann sind wenig
  hilfreich." Sofern wir es richtig verstehen, sagt er das zum Wohle der
  Kinder - eine typische Täter-Opfer-Verwechslung: Längst ist der
  Nikolaus das arme Schwein.

  Literarisches Urbild der bei Jugendlichen beliebten Nikolaus-Jagd ist
  eine Szene von Gerhard Polt, in der zwei Rocker den heiligen Mann im
  Flur eines Hochhauses stellen. "Ui, a Nikolaus, hahahaa!", jubelt der
  eine, der andere haut ihm die Mitra vom Kopf und erobert den
  Bischofsstab. Auch Väter, die im Morgenmantel und mit angeklebtem
  Rauschebart vor ihre Kinder treten, untergraben die Autorität des
  Originals - und zudem die eigene. Einmal enttarnt, gewinnen sie nie
  wieder das Vertrauen der Kleinen. Zerrüttung, Scheidung, Atheismus und
  FDP-Mitgliedschaft sind häufig die Folge eines missglückten Auftritts
  als Do-it-yourself-Nikolaus. Doch genug davon. Jetzt lasst uns froh
  und munter sein. Daheim, in der Familie, ohne Nikolaus. Der kommt
  heute nicht. Aus sicherer Quelle wissen wir, dass er auf der Couch
  eines Braunschweiger Psychologen liegt und klagt: "Keiner glaubt mehr
  an mich. Nicht einmal ich selbst."