(SZ) Schon das Wort selber klingt ein bisschen langweilig:
  Vermittlungsausschuss. Fast jeder Bürger wird zugeben, an dieses
  herausragende Verfassungsorgan bisher noch kaum gedacht zu haben. Und
  wenn doch, dann eben in Bildern der Erschöpfung und Langeweile. Man
  sah müde, aschgraue Politikergesichter vor sich, ungelüftete
  Konferenzräume, leergetrunkene Mineralwasserflaschen. Jetzt aber wird
  alles anders, und zwar schlagartig: Endlich wird die Arbeit des
  Vermittlungsausschusses als ein dramatisches, ja mythisches Geschehen
  anerkannt. Petra Gerster, die Nachrichtenfrau des ZDF, gab hierzu
  gewissermaßen den Startschuss: Der Vermittlungsausschuss habe die
  Aufgabe, "den gordischen Knoten zu zerschlagen". Eine Formulierung von
  unmittelbar elektrisierender Wirkung. Gewiss schon in den
  allernächsten Tagen wird man hören, dass in Berlin ein "Politkrimi"
  aufgeführt wird. Dass dabei über dem Ausschuss das "Damoklesschwert"
  des Scheiterns hängt. Kurzum: Die oft quälende spätherbstliche
  Wartezeit (Warten auf Weihnachten samt Weihnachtsmann) wird diesmal
  geradezu flugartig vergehen.

  Dem ersten Hochgefühl folgt freilich bald das Bangen. Denn was wissen
  wir schon von der gordischen Affäre? Von Alexander, dem
  Knotenzerhauer? Nicht viel mehr als drei Dinge: Dass man ihn in der
  Alten Pinakothek treffen kann, auf Altdorfers Schlachtgemälde. Dass er
  ein Schüler des Aristoteles war. Und drittens dieser Spruch aus
  Schülertagen: "Dreidreidrei - bei Issos Keilerei". Doch dies genügt
  schon, um den Zweifel zu nähren, ob die Ausschussmitglieder über die
  für ihre Arbeit unbedingt notwendigen Heldenkräfte verfügen. Ob sie,
  anders gesagt, mythentauglich sind. Beim großen Alexander nämlich
  sehen wir, dass vor dem richtigen Hauen das richtige Denken erlernt
  werden muss. Aber wo ist heute Aristoteles? Hätte wenigstens
  Ministerpräsident Steinbrück bei Sloterdijk studiert oder Kollege
  Althaus bei Habermas, man sähe ihrem gordischen Schlag mit mehr
  Zuversicht entgegen.

  Natürlich könnte man die braven Politiker in homerischen Hexametern
  besingen. Auch könnte man die ewige K-Frage der Union mit dem Urteil
  des Paris zusammendenken, wobei die Frage, welche Göttin von Merkel,
  welche von Koch und welche von Stoiber verkörpert wird, schon ein
  bisschen heikel ist. Aber niemand weiß, ob unsere aktuellen
  Volksvertreter jemals in die Welt der Mythen und Legenden Einlass
  finden werden - und wie lange man sich an das Titanenwerk des
  Vermittlungsausschusses erinnern wird. Ob alles friedlich und
  langweilig verlaufen und also schnell vergessen sein wird. Oder ob es
  diesmal zu sagenhaften Kämpfen und Schwerthieben kommt. Vielleicht
  werden ja die Schüler dereinst andächtig das Verslein aufsagen:
  "Zweinullnulldrei - im Reichstag Keilerei."