(SZ) Wann ist einer berühmt? Also, berühmt ist einer, wenn er in den
  Köpfen der Leute nicht mehr allein unter seinem im Personalausweis
  eingetragenen Namen verhakt ist, sondern auch unter den Synonymen, die
  sich die Dichter in den Zeitungen für ihn ausgedacht haben. Den
  Tennisspieler Boris Becker nannten alle Bobbele, als er noch die
  dicken Beine und geschmollten Lippen eines alten Babys hatte. Er war
  später der Leimener, schlug seine Gegner in die Flucht als Bumm Bumm,
  wuchs heran zum Roten Baron, aber immer blieb er der Come-Becker,
  dessen Wohnzimmer in Wimbledon stand und der dort und anderswo ein
  Comeback nach dem anderen erlebte. Verlor den ersten Satz, den
  zweiten; brüllte, wütete, brach seinen Schläger. Aber dann wühlte er
  sich zurück, den Tennisball schlenzend und schnibbelnd; dreschend und
  drückend. Wenn der Mond am Himmel stand, hatte er so dramatisch
  gewonnen, dass auch die englischen Reporter von Comebeck schrieben,
  und das war kein Rechtschreibfehler.

  Jetzt hat Boris Becker, der lange schon kein Tennisspieler mehr ist,
  seine Biografie herausgebracht, 313 Seiten, vom Titel grüßt der
  Meister mit verhangenem Blick. Aber offenbar interessieren sich die
  Leute, die früher seine Fans waren, nicht besonders dafür. Bei
  Hugendubel in Frankfurt verkaufte sie sich am ersten Nachmittag nur 24
  Mal, und in Berlin hat eine Buchhändlerin, so schonend wie brutal,
  mitgeteilt: "Es ist nicht so, als hätten wir einen neuen Walser." Das
  Buch als Blei im Regal zu bezeichnen wäre sicher verfrüht, aber ein
  Reißer ist es wohl auch nicht, woraus man ablesen kann, dass Boris
  Becker nun auch noch seine Fähigkeit verloren hat, zum richtigen
  Zeitpunkt das Richtige zu tun, wie damals auf dem Platz. "Augenblick,
  verweile doch . . ." heißt ja, so resignativ wie rückwärts gewandt,
  sein Lebenswerk, wobei der Augenblick der Veröffentlichung bestimmt
  falsch gewählt ist. Die Leute draußen haben keine Lust mehr auf Boris,
  weil sie gesättigt sind von Biografien. Oder sie haben keine Zeit mehr
  für Boris, weil sie den letzten Harry Potter noch nicht fertig gelesen
  haben.

  Es sind für Boris Becker harte Matches in einem späten Grand Slam. Als
  Skandalbeichter sind ihm Bohlen - Juhnke - Naddel - Effe
  zuvorgekommen, als Held ist Harry Potter zwei Sätze voraus. Um dessen
  Geschichten zu lesen, bleiben die Fans nachts wach wie früher, als sie
  Beckers Spiele sehen wollten. Advantage Mr. Potter: Harry kann richtig
  fliegen, Bobbele konnte nur beckerhaft hechten. Harry schläft allein
  in einem Besenschrank, Bumm Bumm schlief in einem Besenschrank mit
  einer schlimmen Frau. Harry hat einen Zauberstab, Boris nur eine
  Beckerfaust, die ihn, als er noch der Come-Becker war, immer gerettet
  hat. Aber jetzt, jetzt kriegt sie wohl nicht mal das Buch des Jahres
  hin.