(SZ) Wenn wir an ein fremdes Land denken, fällt uns der Name des
  zugehörigen Präsidenten oft nicht gleich ein. Aber ein Tier, das
  dieses Land repräsentiert, sozusagen als dessen oberster Botschafter,
  kann jeder nennen. Im geheimnisvollen Australien haust der
  geheimnisvolle Wombat; der Russe in all seiner Verschlagenheit wird
  versinnbildlicht durch den finsteren Bären; in Malta wird die auch
  unter dem Namen Felsschmätzer bekannte Steindrossel als Nationaltier
  sowohl verehrt als auch verzehrt. Und die Schweiz? Was wissen wir
  eigentlich von der Schweiz? Eine Umfrage unter deutschen Schülern hat
  vor Jahren ergeben, dass in der Schweiz überall Berge herumstehen, und
  auf den Bergen stehen Bauern und Kühe herum. Beide, Bauern wie Kühe,
  sind sehr glücklich, denn sie atmen die gute Schweizer Luft, trinken
  (respektive geben) die gute Schweizer Milch, im Übrigen sind die Kühe
  außen lila und innen ganz aus Schokolade.

  Inzwischen aber brennt es dauernd im Gotthard-Tunnel, und die Swissair
  ist pleite gegangen. Das Glück ist abgewandert aus der Schweiz, also
  haben sich auch die Nationaltiere, diese empfindsamen Kreaturen,
  innerlich längst eingestellt auf den zerklüfteten Zustand ihrer
  Heimat. In Lugano wurde ein Bauernlehrling von einer Kuh gerammt,
  nachdem er deren Kalb gestreichelt hatte. Hier jagte eine Kuh einen
  japanischen Touristen bergauf und zertrampelte seine Digitalkamera, da
  riss ein Bulle einer Sennerin den Dirndlsaum in Fetzen. Mittlerweile
  sind zwanzig Prozent aller Unfälle unter Schweizer Himmel auf bockende
  und tretende Huftiere zurückzuführen. Und warum? Weil die Schweizer
  Bauern früher, als noch alles zum Besten stand in ihrem Land, mit
  vielen Fränkli subventioniert wurden und ihre Kühe viel zu viel Milch
  gaben; mindestens den Zuger See hätte man damit füllen können. Jetzt
  soll alles verschlankt werden, die Kühe werden deshalb nicht mehr
  jeden Abend zum Melken in den Stall getrieben, sondern grasen den
  ganzen Sommer draußen, fernab von jeder Aufsicht. Dort muhen und
  brüllen sie sich gegenseitig in jene Rage hinein, die jedem Tier eigen
  ist; dort werden ihre animalischen Instinkte wach, und wenn eine Kuh
  paarungswillig ist oder ein Bulle seine Herde beschützen will, muss
  ein Tourist nur mit dem Gamsbart am Hut freundlich wackeln, um alle
  Hörner auf sich zu lenken.

  "Menschen kennen nicht ihre Fehler, Rinder nicht ihre Stärke", sagt
  ein chinesisches Sprichwort. Nun, da die Rinder ihre Stärke neu
  erfahren, leben sie sie gleich voll aus. Rempeln von hinten, spießen
  von vorn, kommen geflogen. Gerade ist eine Kuh einen Steinbruch
  runtergefallen und auf dem Dach eines Wohnwagens gelandet. Dieses
  geschah nicht in der Schweiz, sondern in Berrynarbor/Südengland.
  Nichts Erstaunliches im Zeitalter der globalisierten Phänomene.