(SZ) Er ist da. Endlich. Fast minutengenau einen Tag und eine Nacht
  vor dem Vollmond hat er sich in phantastischer Gleichzeitigkeit im
  gesamten Deutschland leibhaftig offenbart. Man kann ihn in die Hand
  nehmen. Anfassen. Küssen. Am wichtigsten aber ist: Aufschlagen! Dann
  geht's los. Oder es ist längst losgegangen. Am Samstag schon, um 0:00
  Uhr, sofort nach seinem körperlichen Erscheinen. Harry Potter Nummer 5
  auf Deutsch, "Harry Potter und der Orden des Phönix", 1024 Seiten
  stark, zwei Millionen Auflage, 150 000 Vorbestellungen! Wer hat
  eigentlich gesagt, hier zu Lande würde zu wenig gelesen? Geradezu
  hysterisch viel wird jetzt wieder gelesen. Pisa, wir kommen!

  Aber wie bei allem Schönen und Erhebenden wachen auch in diesem Falle
  Meckerer aus dumpfem Halbschlaf auf und versuchen, das Ereignis madig
  zu machen: Verführung zu (unchristlichem) Glauben an die Macht der
  Magie, zu düster, zu hoffnungsarm dieser Potter 5, ein Angriff auf das
  sonnige Gemüt unserer lieben Kleinen, deren einige, so wird geraunt,
  die 1024 Seiten in einem ununterbrochenen Exzess durcheilen werden.
  Kein Potterianer, keine Potterianerin jedoch wird sich von diesen
  Unkenrufen den Abenteuertrip vermasseln lassen. Immer schon, jawohl,
  wurde heftiges Lesen von selbst ernannten Ordnungshütern auf das
  Übelste verleumdet. Bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts warnten
  Prediger neurotisch vor der "Lesesucht", vermuteten, jede Liebesromane
  verschlingende Hausfrau und Mutter würde mit dem nächsten
  durchreisenden Franzosen durchbrennen, Ehemann, Küche und Kinder
  vereinsamt zurücklassend.

  Jetzt aber kommt ein Angriff auf die Leser von Band 5 aus einer Ecke,
  die von vielen bitter ernst genommen werden dürfte. Doktor Howard J.
  Bennett aus Washington, so berichtet das New England Journal of
  Medicine, meint herausgefunden zu haben, dass die Harry-Potter-Lektüre
  bei acht- bis zehnjährigen Kindern zu "dumpfen, sich über zwei bis
  drei Tage hinziehenden Kopfschmerzen" geführt habe. Die allzu lange
  Fixation der Augen auf die begierig verschlungenen Seiten seien schuld
  daran. Ein Kind litt außerdem an Schmerzen im Nacken und in den
  Handgelenken. Schuld an diesen sei das von Band zu Band anwachsende
  Gewicht der immer umfangreicher gewordenen Bücher. Wenn das so
  weitergehe, so der Doktor sorgenvoll, sei bald mit einer Epidemie von
  "Hogwarts Kopfschmerzen" zu rechnen. Lesen dicker Bücher in
  jugendlichem Alter macht krank, so die Botschaft aus Washington. Auf
  die Idee, die Gebrechen dadurch zu erklären, dass die Kinderchen
  vorher jahrelang buchlos vor der Glotze gehangen haben, scheint Dr.
  Bennett nicht gekommen zu sein. Wir schlagen vor: Lesen und lesen
  lassen. Kopfschmerzen macht eher das Gegenteil.