(SZ) Die moderne Kunst ist ein power plant, ein betriebsames
  Elektrizitätswerk, ein Kraftwerk, in dem es nur so summt und brummt
  vor Kreativitätsströmen und Energieschüben. Unergründlich ist bis
  heute ihr Inneres, unbestimmbar, wer dort gerade am Drücker ist, wer
  die Kunst und ihre Werke produziert, verkauft, vermarktet. Die Kunst
  in ihre modernste Form und vor allem zum größten Erfolg zu bringen,
  das hat durchaus etwas von jener Anstrengung, den sprichwörtlichen
  Sack Flöhe zu hüten.

  Es steckt enorme Power in der Kunst, das hat gerade wieder das Magazin
  ArtReview befunden und im Novemberheft seine diesjährigen "Power 100"
  präsentiert, die hundert mächtigsten Personen des modernen
  Kunstbetriebs: Galeriebesitzer, Museumsdirektoren, Sammler, Kuratoren,
  Kritiker - sogar ein paar Künstler sind dabei. Vor dem Gesetz der
  Kunstrichter aber sind alle gleich, und wie alle Listen dieser Art
  gibt auch diese einiges zu denken, dem Kunstsammler Charles Saatchi
  zum Beispiel, der sich fragen muss, wieso er, im Vergleich zum
  Vorjahr, vom ersten auf den sechsten Platz gerutscht ist. Oder den
  Maler Gerhard Richter, einen Platz vor Saatchi, weshalb er eigentlich
  der einzige Aktive auf den vorderen Rängen ist. Ganz andere Gedanken
  macht sich dagegen Gil Perez, sofern er zum Gedankenmachen überhaupt
  Zeit hat, bei seinem 15-Stunden-Job, oftmals sieben Tage die Woche.
  Gil Perez ist der doorman, der Türsteher vor dem großen Auktionshaus
  Christie's auf der Rockefeller Plaza in New York, und in dieser
  Funktion als Nr. 50 in die Power-Liste gekommen.

  Eine schöne kleine Geschichte ist das, wie das Leben sie öfters
  schreiben sollte - weil sie die Kunst in eben dieses Leben sanft
  wieder zurückholt und die arbeitende Bevölkerung in die Kunstwelt
  einlässt. Und weil sie endlich einen Berufsstand rehabilitiert, der
  bislang vor allem mit einer Aura des Destruktiven assoziiert ist, der
  Verweigerung, der Verhinderung, der Ausschließung. Der große Kafka hat
  ihm den Zugang zur Liste der ehrenwerten Berufe gnadenlos verbaut,
  durch die tendenziöse Darstellung in seiner Erzählung "Vor dem
  Gesetz". In ihr wird ein Bittsteller so lange hingehalten vor dem
  Zugang zum Gesetz, bis er schließlich kindisch wird, die Flöhe im
  Pelzkragen des Türhüters studiert, sie bittet, ihm zu helfen und den
  Türhüter umzustimmen. Auch Gil Perez wäre fast auf einer kafkaesken
  Kontorslaufbahn gelandet, hätte er nicht plötzlich den Drang an die
  Plaza gespürt, wo er nun Christie's Türdrücker bedient. Am Dreh- und
  Angelpunkt der Kunstwelt, darüber entscheidend, wer drinnen ist und
  wer draußen. Was Power ist, darüber mag man ruhig weiter diskutieren -
  Glück aber ist eindeutig, wenn man von Gil Perez erkannt und beim
  Aufschwingen der Tür mit seinem Vornamen begrüßt wird.