(SZ) So trocken wird es im Mund, so trocken. Man atmet vergangenstes
Jahrhundert. Gott, sie sitzt tatsächlich immer noch steif und krumm
wie ein schief gewachsenes Holz, Sabine Christiansen. Und wie das Holz
kann sie nichts dafür, für gar nichts. Und Lafontaine hat wie eh das
gepresste Lächeln eines Verdammten, und Arnulf Barings Haar ist aus
kalter Asche gewoben, wie die ganze Veranstaltung. Friedman aber,
Michel Friedman hat sich verändert. Beim letzten Fernsehschauen hat er
cremige Haare gehabt, jetzt ist da keine Feuchte mehr, kein schwarzes
Leuchten. Aktenordnermatte Sachlichkeit hat sich über ihn gelegt. Aber
es nützt ihm nichts. Wenn er redet - er redet doch wie immer? - brummt
im Zuschauerhirn ein notdürftig beleuchteter und gerade deshalb
kraftvoller Subtext, gegen den er nicht ankommt. Armer, armer Michel
F., wir sind so schwach, an Dessous und blanke Rasierklingen zu
denken, während du das Wort zur Welt ergreifst, so funktioniert das
triviale Hirn, das hätte dir doch bekannt sein können, dir, dem wir
jetzt schon ohne Überlegung, einem Instinkt folgend, das Du angeboten
haben, ach, hast verloren in dem Moment, da du wieder vor die Kamera
treten, wieder neben all den anderen gepuderten Gesichtern Platz
nehmen musstest. Nicht vorher.
Und jetzt? Trinken nutzt nichts, die Trockenheit sitzt zu tief.
Hinausgehen in die frische Nacht. An den kahlen Ästen der
Kastanienbäume hängen ein paar dunkle Lappen, die letzten großen
Blätter. Morgen werden sie heruntertrudeln. Alle Blätter sind jetzt
dunkel und groß, größer als Schuhe. Und obwohl es nicht geregnet hat,
sind sie nass. Als ob jemand eine hauchdünne Schicht Gel aufgetragen
hätte. Warum sind sie so groß dieses Jahr? Warum bedecken sie
überhaupt noch den Boden? Am Ausgang des Sommers hatte es doch
geheißen, die Bäume seien ihrer Zeit drei Wochen voraus. Die Blätter
müssten demnach schon alle gefallen sein, und zertreten, aufgelöst,
weggekehrt. Aber sie sind noch vollständig da. Die Natur hat ein wenig
verharrt, hat die Dinge, die durcheinander geraten waren, mit leichter
Hand wieder geordnet.
Sie schickt nun plötzlich, ohne dass der Wetterdienst eine Warnung
herausgegeben hätte, einen Wind durch die Stadt, einen, wie ihn nur
der Herbst kennt. Aber seltsam, all die großen, nassen Blätter bleiben
reglos wie Blei, bedecken weiterhin teppichdicht die nächtlichen
Straßen, dämpfen die Schritte der Passanten. Keine Jacke bläht sich,
kein Schal flattert, kein Hut wird davongetragen. Nur die erleuchtete
Kugel, in der Christiansen und ihre Männer sitzen, zerrt an ihrer
Verankerung, löst sich klirrend, fliegt haarscharf - das war wirklich
knapp! - an der Gedächtniskirche vorbei, sie wird zu einem kleinen
Punkt, der an Helligkeit verliert und sich endlich auflöst, im Nichts,
das in ihr herrscht.