(SZ) Die neue Woche wird hoffentlich langweilig. Die letzten Tage
  nämlich waren aufregend, aber auch erdrückend. Steinschwer lag der so
  genannte Mantel der Geschichte auf unseren Schultern. Zwei ergreifende
  Fernsehabende mit Willy Brandt, dazu eine Dokumentation über Brandt,
  die Jahrhundertgestalt. Bebende Berichte vom neuen Picasso-Museum in
  Malaga und über Picasso, den Jahrhundertkünstler. Prickelnde
  Reportagen über den Jahrhundertwein, auf den sich Deutschland nun
  freuen darf, nach dem Jahrhundertsommer, im Jahr nach der
  Jahrhundertflut. Bei einem Fernsehtreffen schließlich zwischen den
  Damen Maischberger (Talk) und Mutter (Geige) fiel fast nebenher das
  Wort Jahrhundertbegabung, und genau besehen trifft es auf beide hohen
  Damen zu. Kurzum: eine Zeit voller Jahrhundertereignisse liegt hinter
  uns, und man fragt sich schon, wie viele solche Jahrhundertwochen ein
  Mensch im Jahr ertragen kann.

  Es ist eine ewige, wahrscheinlich müßige Frage, ob die Welt immer
  besser wird oder immer schlimmer. Sicher aber ist, dass die Welt immer
  lauter wird. Und dass die Wortproduzenten eine führende Rolle bei der
  Lärmemission spielen. Früher dachte und sprach man auch in kleineren
  Zeiträumen, denken wir nur an ehrwürdige Wörter wie: Schrecksekunde,
  Fünfminutenterrine, Stundenhotel oder Wonnemonat. Heute muss immer
  gleich das Jahrhundert beschworen werden, gleichviel, ob wirklich
  Jahrhundertfiguren am Werke sind. Holt sich einer der nervigen
  Klitschko-Brüder ein blaues Auge, oder gar dieser verbeulte Mann, den
  sie den Tiger nennen, ist unweigerlich von einem Jahrhundertboxkampf
  die Rede. Die Wörter Kult, Hype und Ikone sind durch millionenfachen
  Missbrauch zu Blödwörtern geworden, und jetzt wird das Jahrhundert
  leergepresst. Zum Gedröhne passt, dass man im ZDF an diesem Freitag
  die erbitterte Suche nach dem "größten Deutschen" fortsetzt und nun
  endlich die Top 100 präsentieren wird. Man könnte sich schon wieder
  maßlos aufregen und vom Jahrhundertschwachsinn sprechen. Aber wir
  wollten ja eine langweilige Woche haben, eine gemütliche, also lassen
  wir es.

  Warten wir lieber auf den Jahrhundertwein, mit dem wir fröhlich
  eintreten wollen in unsere Blaue Periode. Und suchen wir bis dahin
  Trost bei der Geschichte vom Anfang aller Dinge. Als der Herr das
  Licht und die Finsternis trennte, die Erde schuf und das Meer, die
  Vögel und die Seeungetüme. "Und Gott sah, dass es gut war". Welch eine
  geradezu göttlich bescheidene Formulierung, welch eine himmlische
  Untertreibung im Angesicht eines Jahrmilliardenwerkes! Und sah, dass
  es gut war. Mehr nicht. Aber klar ist wohl auch, dass man einen
  Ghostwriter wie diesen Herrn Moses, der die Schlagzeilen und Pointen
  derart verschenkt, heutzutage feuern würde. Fristlos.