(SZ) "Zum Straucheln braucht's doch nichts als Füße." Der das sagt,
  hat was am Kopf - eine Verletzung. Er geht zudem davon aus, dass alle
  Nachfrager in seinem Fall das schiere Vorhandensein von Füßen als
  Erklärung für diese Platzwunde schlucken werden. Und Recht hat er,
  Heinrich von Kleists Dorfrichter Adam. Er kommt ja fast durch mit
  seinem lapidaren "Bin gestolpert". Wären da nicht dieser zerbrochne
  Krug und die fehlende Perücke, niemand würde ahnen, dass der Richter
  Adam nicht etwa beim Gang zum Aktenschrank gestürzt ist, sondern beim
  nächtlichen Fensterln eins mit der Türklinke über den Schädel bekommen
  hat. Woher aber rührt die Bereitschaft - gerade bei uns Heutigen -,
  einem Richter, dem edelsten Exponenten des öffentlichen Dienstes, so
  verletzungsträchtige Straucheleien abzunehmen?

  Die Antwort auf diese Frage kann vielleicht eine Statistik geben, die
  der Bundesverband der Unfallkassen gerade vorgelegt hat. Ihr zufolge
  gehen die meisten Arbeitsunfälle im öffentlichen Dienst aufs
  Straucheln zurück. Für nicht weniger als 59 Prozent aller Unfälle
  während der Arbeitszeit waren ein "Umknicken", ein "Stolpern", ein
  "Stoßen" oder "Anstoßen an einen Gegenstand" die Ursache. Bei
  Krankenpflegern oder Feuerwehrleuten liegt das nahe. Wie aber verhält
  es sich mit dem Verwaltungsbeamten, der Fachkraft für
  Textverarbeitung, dem Professor, dem Richter schließlich? Ihr
  Einsatzgebiet beschränkt sich doch auf das scheinbar sicherste
  Terrain: Büros, Korridore, maximal Treppenhäuser. Gerade dort jedoch
  ereignet sich ein Gutteil der Unfälle. Die Statistik nennt in nicht
  weniger als 45 000 Fällen Fußböden, Flure oder Treppen als
  "auslösenden Gegenstand". Wie darf man sich das vorstellen?
  Schwankende Gestalten, die auf dem Weg von der Kaffeküche zur Toilette
  gegen jede Hängeregistratur rennen? Grobmotoriker, die selbst
  niedrigste Türschwellen nicht verletzungsfrei zu überwinden vermögen
  und regelmäßig mit fahrigen Bewegungen Akten, Locher und Lampen von
  den Tischen wischen?

  So schlimm ist es wohl nicht. Aber nachvollziehbar sind sie dennoch,
  diese Stürze auf planem Grund. Je weiter der Mensch sich bei der
  Arbeit von der physischen Welt entfernt, desto schwerer wird ihm
  zwangsläufig beim Wiedereintauchen in diese Welt der Umgang mit ihrer
  kruden Gegenständlichkeit. Wer stundenlang am Klapprechner sitzt,
  amtliche Vorgänge nachvollzieht oder (Gott behüte!) ziellos das
  Internet durchstreift, für den ist der anschließende Gang zur
  Zimmertür schon ein kleines Wagnis. Zu konkret ragt nach dem
  Daueraufenthalt im virtuellen Raum der Papierkorb, unüberwindlich
  wellt sich die Auslegware. Und doch ist der eigentliche Grund der
  Stürze wohl noch ein anderer, wie auch Dorfrichter Adam weiß: "Jeder
  trägt den leid'gen Stein zum Anstoß in sich selbst."