(SZ) Der Mensch, dieses rätselhafteste aller Wesen, liebt
  Katastrophen, Untergänge, das große Aus - gerade weil es ihn dabei
  schaudert. Das Schaudern ist der Menschheit bestes Teil, haben wir in
  der Schule gelernt. Deshalb wundert es auch niemanden, dass
  hartnäckige Forscher nicht davon ablassen können, dem Untergang, dem
  großen Aus der Saurier nachzusinnen. Was war da bloß los? Asteroid?
  Meteor? Zu heiß? Zu kalt? Oder haben sie sich schlicht überfressen?
  Oder sind verhungert? Dahinter steht stumm immer die bange Frage:
  Könnte der Menschheit einmal Ähnliches passieren, ein großes Aus?
  Friedrich Schiller hat darauf eine Antwort gegeben: "Auch das Schöne
  muss sterben!" Ja, so ist es wohl.

  Diese etwas trübsinnigen Gedanken tauchen auf, weil gerade wieder
  etwas sehr Schönes beim großen Aus beobachtet werden konnte, mit
  Schaudern und voller Lust. Der von den Menschen ersonnene große
  Silbervogel oder besser Flugsaurier (Pterosaurus) mit Namen Concorde -
  das Wort stand einst für Eintracht und Frieden - hat sein
  pfeilschnelles Leben in den Lüften aufgeben müssen. Zum letzten Mal
  sauste der Pterosaurus, seinen gewaltigen Knallteppichschwanz hinter
  sich herziehend, gestern von New York nach London-Heathrow. Und da die
  Menschen, wie gesagt, einem großen Ende gern beiwohnen, teilten 300
  000 von ihnen der davon schwer überraschten Fluggesellschaft British
  Airways telefonisch oder über das Internet mit, sie wollten als
  Zuschauer dabei sein, wenn mit der Landung das große Aus sichtbar
  würde. In Windeseile wurden deshalb seit dem Wochenbeginn
  Zuschauertribünen gezimmert, um die Massen fassen zu können.

  Ein Zeitalter geht zu Ende, wie das der Saurier, und wenn ein
  Zeitalter zu Ende geht, dann beginnt die Ära des Singens und Sagens.
  Jetzt schon werden die Geschichten gesammelt, die uns von denen
  erzählen, die dabei waren. Vielfliegerin Joan Collins, die sich auch
  den letzten Flug nicht entgehen ließ, buchte immer den Platz 12D in
  Nähe der Toiletten. Königin Elizabeth und Prinz Philip bestanden auf
  den Plätzen 1A und 1B. Die zähe Queen Mum hingegen feierte ihren 85.
  Geburtstag in der Pilotenkanzel einer Concorde. Mstislaw
  Rostropowitsch kaufte immer gleich zwei der teuren Sitzplätze: einen
  für sich, den anderen für sein Cello. Die letzten beiden Tickets
  ersteigerte der Amerikaner David Hayes für 60 000 Dollar. Zurück in
  die Heimat muss er mit einem hundsgewöhnlichen Linienflug. Der
  metallene Flugsaurier wandert ab ins Museum, wie die Überreste seiner
  tierischen Vorfahren. Eine Maschine aber wird ausgebeint. Teile werden
  am 15. November in Paris versteigert. Man kann unter anderem einen
  Pilotensitz oder auch zwei Triebwerke erwerben. Der Mythos lebt. Das
  Schöne ist nicht ganz gestorben.