(SZ) Gern redet man von den verzagten Deutschen - und am liebsten
  reden die verzagten Deutschen von ihnen. Dabei erleben wir doch
  täglich Beispiele einer nahezu heroischen Unverzagtheit. Man muss nur
  den Fernsehkasten anschalten, und schon hat man wieder einen Helden
  des Alltags im Blick. Dieser Held ist von Beruf Reporter. Noch
  häufiger: Reporterin. Furchtlos stehen sie in Regen und Wind, die
  lieben Kollegen, und sie weichen nicht, auch wenn der Sturm zum
  Ungeheuer wird. Gerade jetzt wieder schenkten sie uns unvergessliche
  Bilder, nicht nur von der Urgewalt der Natur, sondern auch von der
  eigenen Unerschrockenheit. Die ARD-Reporterin hatte sich eine total
  coole Kapuze aufgesetzt, unter der sie fast verschwand. Der
  RTL-Reporter kämpfte auf einem vom Orkan gepeitschten Hotelbalkon. Und
  die gänzlich regennasse Kollegin vom ZDF ließ es sogar zu, dass auch
  die eigene, eben gewiss noch tadellose Frisur ein Opfer des Hurrikans
  Isabel wurde. Es heulte der Sturm, es brauste das Meer - allein die
  Tapferen vor den Kameras, sie wankten nicht. Und sprachen die zu einem
  dramatischen Auftritt gehörenden hochdramatischen Sätze: "Dieser
  Gewalt hat man nichts entgegenzusetzen."

  Mag sein, dass die Welt nicht interessanter geworden ist in den
  letzten Jahren. Ohne Zweifel aber wird die Weltberichterstattung immer
  explosiver. Man muss da nicht an die journalistischen Helden von
  Bagdad denken, etwa an den rätselhaft unerschrockenen Herrn Tilgner.
  Denn längst wird auch das Harmlose als Drama und Entertainment
  inszeniert. So ist aus dem einstmals biederen Wetterbericht die
  brandheiße Wettershow geworden. Der Meteorologe im Studio schreit und
  zappelt herum, als würden aus den elektronischen Wetterkarten gleich
  die Blitze herausschießen. Wenn er nicht gar im abenteuerlichen
  Außendienst sein Leben aufs Spiel setzt - auf einsamen, eisigen
  Gipfeln, an mörderischen Küsten.

  Was aber, so fragt man nicht ohne Gram und Neid, weiß die Welt von den
  Gefahren des Innenraumjournalismus? Von seinem stillen, zähen
  Heroismus? Niemand sieht ihn, den Theaterkritiker und seinen ewigen
  Heldenkampf gegen den Theaterschlaf. Niemand sieht ihn, den
  Leitartikler, wie er ohne Seil durch die Steilwand der Metaphern
  steigt - und erst Frieden findet, wenn er auf der Spitze des Eisbergs
  die Gretchenfrage stellt. Niemand sieht ihn, den unbekannten
  Humoristen, der im ersten Abschnitt den Einstieg verpatzt, im zweiten
  das Thema verfehlt und sich nun schon dem größten aller Schrecken
  nähert, der drohenden Schlusspointe. Wie gern tauschte so einer die
  Windstille in Zimmer und Kopf gegen einen gemütlichen Platz draußen im
  Hurrikan! Auch solche Helden sollte das Fernsehen mal zeigen. Auch
  ihrer Gewalt hat man nichts entgegenzusetzen. Zurück ins Studio.