(SZ)Es geschah am Dienstag, kurz nach 17 Uhr, in der Tagesschau um
fünf. Der Zuschauer sah zwei Männer, von Strapazen gezeichnet, von
Entbehrungen ausgezehrt. Und die Moderatorin, Frau Holst, sprach
hierzu leise bebend den Satz: "Fast sechs Monate waren sie in der
Gewalt von Entführern." Der Zuschauer erschrak, wie immer bei solchen
Meldungen. Aber diesmal erschrak er ganz besonders. Denn die beiden
Entführungsopfer, welche die Tagesschau im Bilde zeigte, waren Ole von
Beust und Ronald Barnabas Schill. Nun ja, wird der arglose Zeitgenosse
sagen, eine Panne eben, ein kleiner, ulkiger Vorfall an einem sonst
traurigen bis trostlosen Tag. Der zu jeder Tageszeit hellwache Bürger
wird sich mit einer solchen faden Erklärung nicht zufrieden geben. In
dieser grotesken Affäre könnte schließlich auch das
Unwahrscheinlichste plötzlich Wahrheit sein. Welche bisher unbekannten
Verbindungen, so muss man also fragen, gibt es zwischen der Hansestadt
Hamburg und der südlichen Sahara? Welche bizarren Enthüllungen kommen
noch? Und wieso schreiben jetzt alle Journale wieder, der Erste
Bürgermeister habe den Zweiten Bürgermeister "in die Wüste geschickt".
Höchst verdächtig, dies alles. Der Gebührenzahler hat das Recht, von
der ARD schnelle, umfassende Aufklärung zu verlangen.
Bis diese erfolgt, ist Zeit für eine Denkpause. In welcher man zum
Beispiel die Frage erörtern könnte, was unsere Politiker, jenseits
aller vergänglichen Affären, denn sind: Entführungsopfer oder
Entführer. Arme Geiseln oder brutale Geiselnehmer. Einerseits nehmen
sie uns, den Wähler, ständig in Haft, und wir können beileibe nicht
sagen, dass wir gut behandelt werden in dieser Gefangenschaft. Sie
stehlen uns die Zeit und die Lebensfreude. Schrecken auch vor
Erpressung und Folter nicht zurück. Schicken uns ständig Quälgeister
wie den Müntefering, den Bütikofer oder gar den Goppel auf den Hals.
Nehmen uns das liebe Stadttheater weg und die Entfernungspauschale.
Züchtigen, Drohen, Würgen, das ist ihr ganzes, ödes Tagewerk.
Oder ist es genau umgekehrt? Sind wir, die Wähler, nicht die wahren
Kerkermeister? Müssen die angeblich Mächtigen denn nicht ständig
kläglich um unsere Gunst und Gnade betteln? Können wir ihnen denn
nicht, ganz wie es uns gefällt, unsere Liebe entziehen, wie der
Wachmann dem Gefangenen das Wasser? Leben sie denn nicht in ständiger,
zitternder Angst vor unseren despotischen Launen?Oder sind wir Wähler
und die von uns Gewählten auf vertrackteste Weise immer beides
zugleich: Geiseln und Geiselnehmer? Dann müsste man die alte,
menschenfreundliche Redensart "Wir sitzen alle im selben Boot" endlich
ins Bitterdeutsche übersetzen: Wir sitzen alle im selben Loch. Gerhard
und Angela, Ole und Barnabas, ich und du. Und kein Chrobog kommt, uns
zu befreien.