(SZ)Zugluft, ganz gemeine Zugluft wird nun begrüßt wie ein alter,
  lange vermisster Gefährte. Menschen jauchzen im Angesicht
  dunkelschwerer Wolken. Und tatsächlich, da zittert das Laub, da bewegt
  sich ein Ast, eine Bö kommt auf und dann noch eine. Ist es der Wind,
  das himmlische Kind, oder nur das gewaltige Aufatmen, das durch das
  ganze Land geht, jetzt, da die Hitze, die große, verheerende,
  drosselnde Hitze vorbei ist? Sie sagen es so, in den Büros, auf
  Terrassen und Straßen, gesengten Säuen gleich, die auf wundersame
  Weise wieder zum Leben erwachen. Wären sie nicht so kaputt, nicht so
  unendlich müde, sicher würden sie sich zart an den Händen fassen,
  würden im Kreis tanzen, während in Paris die Hitzetoten auf Feldbetten
  aufgebahrt werden, 600 bis 700 Feldbetten in einer ehemaligen, gut
  gekühlten Großmarkthalle. Auch von dort weht nun ein kalter Schauer.

  Trotzdem vorbei, überstanden. Aber ist er wirklich vorbei, dieser
  Sommer, der schon im Frühjahr begann? Dass erste Blätter von den
  Bäumen fallen, zeigt heuer noch lang nicht den Herbst an. Wird es
  wieder heiß, fehlt dann der Schatten. Wird der Oktober mild vergoldet
  oder schmilzt das Gold in der Sonne? Keiner weiß es, keiner will's
  verschrein, schon gar nicht in Karlsruhe, wo sie heuer schon 78Tage
  mit Temperaturen über 25Grad hatten. Ist die Hitze aber passé, erfasst
  endlich Kühle die Köpfe, werden die Menschen viele Fragen stellen.
  Keiner von ihnen glaubt mehr an die dämonische Macht des Sirius, des
  Hundssterns. Dass man in dieser Zeit tunlichst nicht heiraten solle;
  dass einem die Haare ausgehen, wenn man sie wäscht; dass das Blut
  getöteter Tiere nicht gerinnt und die Krähen nicht saufen - all das
  ist dem aufgeklärten Geist nichts als Aberglaube. Und doch hat sich
  gezeigt an den Hundstagen, wie machtlos die sind, die sich als
  Beherrscher der Erde fühlen.

  Und hundsmiserabel angepasst an ein paar Grad mehr: niedliche Öhrchen,
  wo es die Ohren des Elefanten bräuchte, um sich Luft zuzufächeln; eine
  Zunge, die nicht hecheln kann (nur der amerikanische Sprinter Greene
  hat so eine); weiße Haut, die in der Sonne verbrennt; Klimaanlagen,
  die krank machen; Matratzen, die glühen; Fenster ohne Fensterläden.
  So, wie die Kinder der Menschen lange Zeit hilflos sind, so hilflos
  sind sie dann später, so verletzlich, spätestens dann, wenn der Strom
  ausfällt. Wird aber tausend und abertausend Jahre dauern, so ein
  Anpassungsprozess, länger noch als eine Gesundheits- und Rentenreform.
  Hilft also nichts, jetzt, da das Laub ein wenig zittert. Kann sein,
  dass einmal Herbst wird, dass auf den Fluren die Winde losgelassen
  wurden und die Blätter treiben. Menschleinklein wird dann seufzen:
  "Herr, der Sommer war eine Nummer zu groß."