(SZ) Böse Menschen behaupten immer wieder, unser aller Kanzler stehe
den geistigen Dingen eher fern. Das ist fies und außerdem reine
Erfindung. Der Kanzler hat Geschmack, und der ist die Voraussetzung
für die Liebe zum Schönen. Des Kanzlers guter Geschmack zeigt sich
allein darin, dass er den Talkmaster Beckmann einst, wenn auch in
dessen Abwesenheit, mit einem Wort charakterisiert hat, das man hier
wegen der Paragrafen 185 ff. des Strafgesetzbuches (Beleidigung, üble
Nachrede etc.) leider nicht zitieren darf. Für seinen Geschmack
spricht weiterhin die Tatsache, dass er Italien liebt, elegante Anzüge
des Couturiers Bruno Bruni trägt und die Bilder des Malers Brioni
schätzt. Außerdem beschäftigt er sich ernsthaft (wirklich!) mit
moderner Kunst. Dazu ist von Schröder ein schöner Satz überliefert,
der sich auf sein Leben im hannoverschen Reiheneckhaus bezieht: "Wenn
ich meine Ruhe haben will, nehm' ich meine Kunstbücher und geh' in die
Küche."
Gerade ist unser Kulturkanzler aus seinem Sommerurlaub zurückgekehrt,
und schon konfrontiert er uns mit einer neuen Seite seiner
vielschichtigen Persönlichkeit. Früher gab es die vor allem in der
Sowjetunion beliebten Arbeitsbegräbnisse. Ein Oberkommunist starb, zum
Beispiel Breschnew oder Andropow, und die Mächtigen dieser Erde
versammelten sich im Schatten der Gruft, um über Abrüstung und die
Verteilung der Welt zu reden. Was also für Helmut Kohl das
Arbeitsbegräbnis war, ist für Gerhard Schröder der Operngipfel. Am
18.August wird er gemeinsam mit Japans Ministerpräsident Koizumi den
Tannhäuser in Bayreuth besuchen; vier Tage später sitzt er mit dem
EU-Prodi und Berlusconi in der Arena von Verona, wo man Carmen gibt.
Gewiss, selbst seinen Freunden oder Gattinnen ist Schröder bisher
nicht als Opernliebhaber aufgefallen. Aber sogar der Papst liebt die
Spätberufenen, und außerdem ist der Unterschied zwischen Bizet und den
Scorpions so groß auch nicht. Wagner wiederum ist enorm deutsch,
weswegen ihn gerade die Japaner so sehr lieben, vielleicht auch, weil
sie sich vorstellen können, dass Wagner, wäre er Japaner gewesen, dem
Tannhäuser-San statt eines Endes aus Liebeskummer ein ordentliches
Harakiri zugedacht hätte. Lässt man das alles, wie der Kanzler früher
einmal gesagt hat, "Revue kapitulieren", dann kann man nur Hochachtung
empfinden für die Schröderschen Operngipfel. Mit Berlusconi zeigt er
sich bei Carmen, wo jede Menge Schmuggler, Dunkelexistenzen und
Großmäuler tragende Rollen spielen. Sehr subtil. In Bayreuth wiederum
kann er mit Koizumi - als Premier ebenfalls für eine Wirtschaftskrise
verantwortlich - über Wolframs Besingung des Abendsterns sinnieren:
"Wie Todesahnung Dämm'rung deckt die Lande."