(SZ)Wer in der so genannten "Ersten Welt" lebt, der weiß darum, dass
unter den üblichen Lasten und Belastungen, die tagtäglich gestemmt
werden müssen, zwei Jahreszeiten mit besonderen Anstrengungen
verknüpft sind: Weihnachten und die sommerliche Urlaubszeit. Letztere
hat ihre besonderen Tücken. Kaum, dass man sich entschlossen hat,
seine gewohnte häusliche Umgebung für einige Wochen zu verlassen, um
an einem anderen Ort seine Ferien zu verbringen, stellt sich eine
Fülle von logistischen Herausforderungen ein, für die es bis zum Tag
der geplanten Abreise eine Lösung zu finden gilt. Am Auto sind
wenigstens die Scheibenwischerblätter zu erneuern, die Zeitung muss
abbestellt werden. Wer bittet diesmal welchen Nachbarn, die Blumen zu
gießen und den Briefkasten zu leeren? Der aufblasbare Plastikhaifisch
ist Heidis Lieblingsstrandtier und darf auf keinen Fall vergessen
werden. Ist das Wundermittel gegen Durchfall und die Salbe gegen
Mückenstiche im Medizinbeutel? Das alles ist als Routine längst
geläufig, wird abgehakt. Dann aber stellen sich die wirklichen
Friktionen ein, die beispielsweise Max heißen und Haustier sind. Ein
Goldhamster, ein Zwergkaninchen, ein Wellensittich. Selbstverständlich
meint Heidi, dass auch Max Ferien in Jesolo machen wolle. In jedem
Fall würde er unter der Trennung leiden. Das wäre grausam. Max auch zu
den Nachbarn in Pflege geben? Nein, die haben eine Katze. Also wird
Max in seinem Käfig mitgenommen. Am Morgen der Abreise, das Auto ist
voll gepackt, der Plastikhaifisch aufgeblasen, die Rolläden
heruntergelassen, Heidi trägt Max, da öffnet sich im Souterrain eine
Tür und auf der Kellertreppe erscheint - die Oma.
Nein, so hat es sich im süditalienischen Caltanissetta nicht
zugetragen, wo eine 81-Jährige bei sengender Sonne hilflos stundenlang
auf der Straße herumirrte, weil die Familie, bei der sie lebte,
ungestörte Urlaubsfreuden genießen wollte. Ihre zwölf (!) Söhne und
Töchter hatten sich zuvor nicht einigen können, wer sich diesmal im
Ferienmonat August um die nonna kümmern müsse. Die Polizei und die
Sozialstation, bei denen man vorstellig wurde, hatten ein
einschlägiges Ansinnen abgelehnt. Deshalb hat man die alte Frau
einfach auf der Straße ausgesetzt. Irgendjemand, so die vermutbare
Rationalität hinter dieser Roheit, würde sich schon um sie kümmern.
Vor mehr als zwanzig Jahren wurde im ZDF das Fernsehspiel "Aktion
Abendsonne" von Dieter Klante gezeigt, eine schwarze Utopie, eine
raffiniert gemachte Show, die vorgab, alte, allein lebende Menschen an
Familien zu vermitteln, die sich eine Oma oder einen Opa wünschten. In
Caltanissetta, einem Ort der "Ersten Welt", hat jetzt die Wirklichkeit
diese Utopie ein- und überholt. Weit haben wir es gebracht.