(SZ)Es gehört zu den Torheiten, wenn nicht gar zu den tödlichen
  Irrtümern der Jugend, die Alten zu unterschätzen. Beginnen müsste eine
  seriöse Betrachtung hierzu natürlich mit Odysseus, dem Leidgeprüften,
  dem Listenreichen. Welcher, nach Krieg und Irrfahrt, endlich
  heimkehrte - und dessen Altmännerhand nicht zitterte, als er die
  jugendfrechen Freier bogenschießend besiegte. Von Homer ist es nur ein
  kurzer Schritt zu einem anderen Top-Autor, Herrn Florian Illies, von
  welchem wir kürzlich staunend erfuhren, dass die alten, morschen,
  tausendfach totgeschriebenen Achtundsechziger noch immer in der Lage
  sind, ihren Rivalen von der Generation Golf oder auch Golf zwei die
  schönsten Frauen auszuspannen, hihi. Von hier wiederum ist es nur noch
  ein Schritt, eine Radlänge zur Tour de France und zum heutigen
  Schicksalstag. Dabei geht es erneut um die Macht oder auch Übermacht
  eines Alten, jenes Mr. Armstrong, der in den letzten Tagen
  wechselweise als "Bestie", "gnadenlose Maschine" sowie "größter
  Sauhund" porträtiert wurde.

  Die Tour de France. Ein mythisches Spektakel. Es zieht alle Deutschen
  gewaltsam in seinen Bann, auch jene, die noch vorgestern als
  Radsportignoranten, als Velodioten ihre Bahn zogen. Daran sind vor
  allem die magischen Senioren schuld. Der knorrige Champion Rudi Altig
  zum Beispiel, der Scholl-Latour der Radsportexegese. Oder (unser
  absoluter Liebling!) der Reporter Herbert Watterott, die lebende
  Tour-Enzyklopädie. Ein Mann, der buchstäblich alles weiß: wer 1905
  Neunter wurde, wer 1909 Fünfter - und dergleichen Köstlichkeiten mehr.
  Vor allem aber natürlich erregt und erschüttert uns der schier
  homerische Zweikampf zwischen dem regierenden Alleinherrscher, König
  Lance, und seinem Herausforderer, unserem lieben Prinzen Ulle. Was hat
  man uns bis vor wenigen Tagen nicht alles über den alternden Armstrong
  erzählt! Wie elend er doch aussieht, wie krumm er auf dem Rade sitzt!
  Ein lebender Leichnam im Gelben Trikot. Dead Man Cycling. Aber auf
  einmal tritt der derart Totgesagte in die Pedale und fährt allen,
  leider auch Ulle, davon. Wie ein junger Gott, hätte man in den alten
  Zeiten wohl gesagt.

  Letzten Sonntag dann plötzlich, mitten im Tour-Taumel: Johannes Rau im
  Sommerinterview mit Peter Hahne. Wie knittrig sah der Mann aus, als er
  vor Jahren sein hohes Amt antrat. Und wie erfrischt jetzt, rosig und
  erholt schon vor dem Spiekeroog-Urlaub. Welch nahezu raubtierhafte
  Geistesgegenwart vor allem! Heute abend wissen wir, ob der alte
  Radsportkönig noch einmal triumphiert. Danach werden wir uns an der
  Frage erregen, ob der alte Bundespräsident noch einmal unwiderstehlich
  antritt. Es bleibt spannend, und vielleicht muss auch hier das
  Zeitfahren entscheiden. Contre la montre, würde Watterott wohl sagen.