(SZ)Jetzt, da die Sommersonnenwende hinter uns liegt und die Tage
  wieder kürzer werden, richten sich die Gedanken allmählich aufs
  Christfest. Bald schon werden die ersten Packungen mit Spekulatius-
  und Lebkuchensortimenten die Auslagen der Supermärkte zieren, bei
  deren Anblick den meisten Menschen dann ganz licht wird ums Herz,
  einerseits. Andererseits steigt zu Weihnachten, dies gilt als
  gesichertes Wissen, die Zahl stationärer Aufnahmen in psychiatrische
  Kliniken rapide an. Während glückliche Familien sich um den
  Festtagsbraten scharen, überwältigt dem Volksglauben nach die
  Einsamkeit Myriaden allein stehender Menschen, die sich dann still
  betrinken oder sonstwas anzutun versuchen.

  Stimmt aber nicht. Rein statistisch gibt es zu Weihnachten nicht mehr
  solcher Fälle als sonst auch. Vielmehr fühlen einsame Menschen sich
  das ganze Jahr über einsam. Etwa so, wie Erich Kästner es einmal
  formulierte: "Einsam bist du sehr alleine./ Aus der Wanduhr tropft die
  Zeit./ Stehst am Fenster. Starrst auf Steine./ Träumst von Liebe.
  Glaubst an keine./ Kennst das Leben. Weißt Bescheid." So was ist
  unabhängig von Feiertagen. Müsste man nun aber durchaus eine
  Jahreszeit benennen, die prädestiniert ist für die Ausprägung
  penetranter Einsamkeits-Gefühle, dann wäre der Sommer ein
  Spitzenkandidat. Wann sonst wird dem Einzelmenschen derart krass
  vorgeführt, wie schön das Leben als Paar oder im Grüppchen ist?
  Sommers geschieht alles unter freiem Himmel: Zu zweit wird geturtelt,
  zu dritt wird getrunken und im Verein wird Frisbee gespielt. "Wer da
  mittun könnte", seufzt bei diesem Anblick der Einzelmensch,
  "wenigstens beim Turteln!" Mit Erich Kästners gereimtem Zusatz, "am
  schlimmsten" sei "die Einsamkeit zu zweit", wäre der so Seufzende wohl
  kaum einverstanden.

  Es ist also sicher kein Zufall, dass heute in den Vereinigten Staaten
  von Amerika der "National Cheer Up The Lonely Day", begangen wird. Er
  ist der Aufheiterung einsamer Menschen gewidmet. Ungeachtet der
  Vermutung, dass für die Erfindung dieses Tages (so wie für die
  Einführung des Muttertages) die Schnittblumen verarbeitende Industrie
  Amerikas verantwortlich zeichnet, ist es zu begrüßen, dass da jemand
  etwas gegen all die unschönen Auswirkungen des Sommers auf das
  Wohlbefinden Vereinzelter tun will. Die einen haben vielleicht gerade
  so einiges verloren, Frau, Ämter, die eigene Fernsehshow gar. Die
  anderen hatten so etwas nie. Und selbst diejenigen, die ganz glücklich
  sind, nun aber den Ehegatten auf eine lange Geschäftsreise ziehen
  lassen müssen, sind nicht gerade zu beneiden - ausgerechnet jetzt,
  mitten im Sommer. Solchen Menschen sollte man etwas schenken.
  Vielleicht einen Strauß Schnittblumen.