(SZ)Aufmerksamkeit ist eine der schönsten Gaben des menschlichen
Geistes. Doch sie gehört dem Menschen nicht allein. Hund und Katze
haben sie auch, merken auf beim kaum hörbaren Schritt von Frauchen
oder Herrchen im Treppenhaus, springen herbei aus fernsten Ecken beim
Kratzgeräusch sich öffnender Futterdosendeckel. Mehr noch: Jeder
Goldfisch wird knallwach, wenn das Tütchen mit dem Goldfischfutter
naht. Vergessen wir die Stubenfliege nicht. Sie wittert selbst die
verborgenste Klatsche. Aufmerksamkeit ist Leben. Kein Wunder, dass
selbst die Hirnforscher in ihren kühlen Labors dieser wunderbaren
Wahrnehmungskunst hinterherjagen, sie loben und preisen als
Basisleistung jedes Nervensystems.
Aufmerksamkeit entzündet sich gern an ganz Äußerlichem, leitet von
dort erst weiter auf Innerliches. Der Mensch aber braucht das
Kratzgeräusch der Futterdose zum Aufmerken nicht. Er studiert andere
Menschen. Er beobachtet die Mimik (ein gewisses Lächeln!), den
Augenausdruck (blitzende Zuwendung!), am liebsten aber eine
Äußerlichkeit, die der sie Besitzende in der wasch- und
pflegemittelreichen Moderne mehr und mehr in seine Gewalt gebracht
hat: die Haare des Menschen in ihrer Pracht. Im Haar liegt der
Außenposten der Seele, ihre Schauseite sozusagen: kurz oder lang,
stumpf oder duftig, steil gegelt, flach, bunt, naturbelassen, füllig,
schütter. Das Haar sagt dem Aufmerksamen fast alles. Beinahe jede
Botschaft des Seelenlebens können wir durch geschickte Haarbearbeitung
an die Außenwelt senden. Schweigen wir von der Haaranalyse, die selbst
vergangene Zustände ans Licht der Öffentlichkeit zerrt. Der
Aufmerksamkeit auf die Haare entgeht nichts.
Wie bei allen Errungenschaften der Menschheit wohnt aber auch hier, in
der Haardeutungskunst, die Möglichkeit des Missbrauchs. Wer prominent
ist und durch Kühnheit die Aufmerksamkeit der Mitmenschen erregen
möchte, sollte wachsam sein. Die liebenswerte Offenheit gestylten
Haupthaars könnte boshaft interpretiert werden. Das geschah jetzt
Boris Becker im hinterhältigen England. Dort wird gern deutsche
Kunstfertigkeit klein gemacht. Beckers wie von einem Michelangelo der
Haarbildhauerkunst aus seinem Schopf herausgemeißelte Plastik, die
allein Fitness, Frohsinn, Furiosität signalisieren wollte, wurde als
"albernster Haarschnitt" mit einem ersten Preis geschmäht. Mehr noch:
Einem "Hamster nach einem Stromschlag" sehe er gleich, höhnten die
Briten. Ohne gleich unsere Rachlust an David Beckhams milde gesagt
erstaunlichen Frisuren auszulassen, weisen wir nur auf ein Defizit im
Haarausdrucksgewerbe hin: Haardeuter müssen her, die jeden Missbrauch
so perfider Aufmerksamkeit im Keim ersticken. Die Zeiten harmloser
Nasskämmer sind längst vorbei.