(SZ) "War nicht früher nicht alles besser!?" lautet der Titel eines
beliebten Gesellschaftsspiels. Antwort wird oft sein ein
Unentschieden. Gewiss, das Gesundheitswesen war billiger, überließ uns
aber viel früher der Ewigkeit. Unübersehbar auch jener Fortschritt der
Zivilisation, welcher unter dem Begriff Reisen abgeheftet ist. Nur
wenige Begüterte machten sich auf nach Italien (der Maler Tischbein),
bahnten sich, als Naturforscher verkleidet, mit der Machete einen Weg
durch Dschungel und Regenwald (Nachtigal, Livingstone). Die Erfindung
der Eisenbahn durch den Engländer Stephenson (1828) brachte das Ideal
Massentourismus einen großen Schritt "in die richtige Richtung" voran.
Heutzutage jammern unsere englischen Freunde über die einmalige
Verkommenheit ihrer Bahnen, selbst dann, wenn sie mit uns einen jener
schicken deutschen ICE teilen, in welchem soeben ausgefallen sind:
Neige- und Klimatechnik, Croissants, die Mikrowelle. Macht nichts,
auch das halbe Stündchen Verspätung macht nichts, beschwichtigt unser
Freund aus dem Mutterland einer kaputtprivatisierten Eisenbahn - fährt
doch, Euer ICE. Was habt ihr bloß? "Bahnchef Mehdorn!", antworten wir
grimmig.
Am Tage der großen Teilreform einer jahrhundertmäßigen Tarifreform
erklären wir namens aller leidenschaftlichen Bahnfahrer, dass
technische Pannen uns letztlich nur bestärken in unserer Liebe. Naja,
teilweise. Was den Maschinenbauer Mehdorn wirklich zumDurchdrehen
brachte, ist die von ihm angezettelte Kulturrevolution unter dem
Vorwand, die Bahn "kapitalmarktfähig" zu machen, um jeden Preis, bis
zum Jahre 2005. Der sehr schröderähnliche Mann (aus der Liste der
meistgebrauchten schmückenden Beiwörter: zupackend, ruppig,
kampfbereit, willenseisern) ist ein airliner durch und durch; die
ersten Adressen der Luftfahrtindustrie schmücken seine Biographie.
Aber die deutsche Eisenbahn braucht zu ihrer Entwicklung
kulturhistorische Bildung und unternehmerische Phantasie mindestens
ebenso nötig wie das tägliche Schmieröl. Mehdorn aber hat den äußerst
beliebten Interregio in Luft aufgelöst, gestrichen die Namen ("Bert
Brecht") sämtlicher Schnellzüge. Wir verdanken ihm den albernen
"Frühbucherrabatt" und die schwere Storno-Strafe, mithin den massiven
Versuch, dem Eisenbahnfahren gründlich die Spontaneität auszutreiben.
Geschafft hat Mehdorn auch das Personal in seinen Zügen; hoch
verunsichert, wagt es kaum, den Mund aufzutun.
Der Vertrag des Sechzigjährigen ist vorzeitig verlängert worden, bis
2008. Der weise Mann hat's verdient, all das rückgängig machen zu
müssen, was seine Luftfahrtgenossen ihm einflüsterten. Zeit genug hat
er nun. Wir wünschen ihm dazu eine besinnliche Bahnfahrt von
wenigstens fünf Stunden. Täglich.