(SZ)Dem Brockhaus von 1886 zufolge ist der Sommer etwas Simples,
  nämlich "im bürgerlichen Leben im allgemeinen die mildere Jahreszeit
  zwischen Frühling und Herbst", technisch gesprochen "diejenige Zeit
  des Jahres, in welcher die Sonne die Grade 90 bis 180 der Ekliptik
  durchläuft". Was immer die Ekliptik ist und wo immer sich ihre Grade
  90 bis 180 befinden mögen: Heuer kann von einer milderen Jahreszeit
  wieder einmal überhaupt nicht gesprochen werden, und zwischen Frühling
  und Sommer hat sie auch nicht stattgefunden, sondern deutlich im
  Frühling. Als der Sommer 2003 offiziell begann, war er in der Realität
  bereits so weit fortgeschritten, dass man sich allerorten nach den
  sprichwörtlichen ältesten Leuten umzusehen begann, um sie zu befragen,
  ob sie sich an einen ähnlich frühen und dabei schon derart mörderisch
  heißen Sommer erinnern könnten. Die ältesten Leute leisteten, was von
  ihnen erwartet wurde, und konnten sich prompt an Vergleichbares nicht
  erinnern.

  Das hängt wohl mit der bei älteren Leuten nicht seltenen
  Gedächtnisschwäche zusammen. Vergleichbares gab es ja immer schon,
  denken wir nur an die 1892 von Dr. Schwalbe beschriebene "jüngste
  Augusthitze", deren Temperaturmaxima ihn zu dem halb verzweifelten,
  halb anerkennenden Fazit animierten: "Diese Werthe sind jedenfalls
  ganz abnorme." Freilich war die Hitze seinerzeit da, wo sie
  hingehörte, nämlich im August, und sie wurde damals auch noch als sie
  selbst empfunden und nicht als die heute übliche "gefühlte Hitze". Die
  gefühlte Temperatur wird man einmal als eine der humansten
  Entdeckungen der Neuzeit bewerten, weil sie uns einfachen Menschen den
  Zutritt zur Meteorologie und damit die Kompetenz - die gefühlte
  jedenfalls - verschaffte, diesen aberwitzigen Juni im Nachhinein zur
  Hölle zu wünschen. Es ist dies ein Ort, wo man sich seit Äonen
  Gedanken über die wirkliche und die gefühlte Hitze macht, ohne damit
  je zu einem Ende zu kommen.

  Andererseits sollten wir, ehe wir den Juni völlig verdammen, erst
  einmal abwarten, ob sich der Juli so bewährt, wie er sich einführt. Er
  schaltet zwar, wie es die Deutsche Presse-Agentur formuliert, "einen
  Gang zurück", bringt also Gewitter, Sturm und Regen, aber dieses
  Zurückschalten sieht ganz nach einem Danaergeschenk aus. Der
  Insektenforscher Frank Menzel aus Eberswalde teilt mit, dass
  Milliarden von Stechmückenlarven auf die Tiefs "Xanthos" und "Zander"
  nur gewartet haben, um nun in aller Ruhe zu schlüpfen und danach das
  zu tun, was sie, selbst in der Erinnerung der allerältesten Leute,
  immer getan haben und wofür wir sie jetzt schon dorthin wünschen,
  wohin wir den Juni bereits gewünscht haben. Vielleicht hat dieser Juni
  das Zeug dazu, trotz seiner Voreiligkeit noch als großer Sommer in die
  Sommergeschichte einzugehen.