(SZ)"Kein Ding sieht so aus, wie es ist. Am wenigsten der Mensch,
  dieser lederne Sack voller Kniffe und Pfiffe." Dergestalt beginnt
  Wilhelm Busch eine sehr bündige Selbstbiographie. Die Warnung ist
  angebracht, wenn sie auch in ihrer Absolutheit in die Irre führt. So
  mancher Sack ist genau das, was er darstellt. Welche Zigarettenmarke
  einer raucht, welches Auto eine fährt, womit sich beide am liebsten
  umhüllen, all das ist letztlich auch eine Frage der soziologischen
  Einordnung, wobei die verbreitete Liebe zur Uniform unübersehbar ist.
  Diese existiert, den überlieferten Regeln des Militärs folgend, als
  Berufs- und Promenadenvariante. Sommerzeit, das bedeutet nun in diesem
  sonnendurchfluteten Jahr, dass der reifere Herr in seiner Freizeit
  zweiteilige Hosen trägt, die sich am Oberschenkel abtrennen und bei
  Bedarf, zum Beispiel in der Kühle gotischer Kirchen, wieder anstückeln
  lassen. Das Bein säumen geräumige Taschen, die, wenn sie mit Börsen
  oder Brieftaschen gefüllt sind, den Ein- resp. Ausdruck seitlich
  getragener Windeln erwecken. Das Ganze bildet nach unten hin einen
  Sack und könnte von alleine stehen, bedürfte also der Beine nicht
  mehr.

  Wohingegen der extrem kurze Minirock der Frauen einem abgeschnittenen
  Sack ähneln kann, der weder der Funktion noch der Form folgt. Nicht an
  diesem konstruktivistischen Einwand entzünden sich aber die
  sommerlichen Debatten an deutschen Schulen, sondern an der Frage von
  Anstand, Sitte und Ehrgefühl. Neben dem Minirock stechen dem
  Lehrpersonal tiefe Dekolletés ins Auge sowie die kurzen Oberteile von
  der Art, wie sie die Bikinis der Frühzeit prägten. Glühend heiß ist
  der Nukleus der Diskussion, die heuer von einer niedersächsischen
  Gesamtschule ins Land getragen wurde. Geht es doch um Nacktheit und um
  das, was deren Anblick in den Lehrern alles anrichten kann. Nacktheit,
  "aufreizend zur Schau getragen", wie der Kultusminister des Landes
  schaudernd feststellt. Ein uraltes Thema, immer wieder neu gemischt:
  Lolita begegnet Professor Unrat, nicht in der Bar, sondern in des
  Lehrers " Kerngeschäft".

  Nun könnte es aber sein, dass das Ganze ein Missverständnis ist, weil
  die Mädels gar nicht so sind, wie sie aussehen. Dass sie gar nicht
  aufreizen wollen, schon gar nicht den Lehrer mit seinem Schlabberpulli
  und den Jesuslatschen. Witterungsbedingt haben sie nicht mehr lange
  Gelegenheit, der Clique den gepiercten Bauchnabel zu zeigen - die
  reihenweise durchstochenen Ohrläppchen hat schon jeder sattsam
  gesehen, die genadelte Zunge hängt allen zum Hals heraus. Dass sich
  die ledernen Säcke im Lehrkörper aufregen über nackte Bäuche, ist nur
  ein cooler Nebeneffekt, und Wilhelm Busch, auch ein Niedersachse, hat
  wieder Recht mit seiner feinen Unterscheidung von Sein und Schein.