(SZ) Vielleicht hätte Guy Venables an Coco Chanel denken sollen, bevor
er sprang. Coco Chanel, die französische Modezauberin, hat der
Nachwelt mahnende Leitsätze hinterlassen, unter anderem den, dass
weibliche Nacktheit den Männern in ihrer Gier nur mit dem Teelöffel
verabreicht werden dürfe, niemals mit der Schöpfkelle. Venables, am
Beckenrand des Sea-Life-Aquariums in Brighton sitzend, hätte sich
womöglich denken können, dass der Anblick einer nackten Frau auf einen
Mann eine ähnlich verstörende Wirkung hat wie der Anblick eines
nackten Mannes auf einen Hai - aber dieser nahe liegende Einfall kam
ihm nicht. Er ist schließlich Komiker, einer von der derben Abteilung,
außerdem war eine Wette zu gewinnen, und so warf Guy Venables auch die
Unterhose über Bord und sprang ins Bassin; verabreichte sich dem darin
schwimmenden Hai nicht mit dem Löffel, nicht mit der Kelle, sondern
mit der Kraft der ganzen Terrine. Der Mann war nackt. Der Hai war tot.
Gestorben am Schock. Näheres soll eine Autopsie ans Licht bringen.
Einem Hai sollte ein Mann also nicht gerade talibanesk verhüllt, aber
doch einigermaßen bekleidet unter die Augen treten, schon um des Haies
willen. Vielleicht ist es an der Zeit, jetzt - da man um die
verheerenden Folgen eigenen Nacktseins weiß - darüber nachzudenken,
warum in diesem Sommer trotzdem alle Männer, auch in der Straßenbahn,
sehr kurze Hosen tragen, aus denen Beine hervorschauen, so schüchtern
behaart wie Stachelbeeren. Und warum so viele Frauen sich in knappe
Gewänder gezwängt haben, aus denen das Fleisch nicht fliehen kann, so
dass sie der Töltött káposzta ähneln, der ungarischen Kohlroulade. Die
Antwort, warum plötzlich alle nackt sein wollen, verbirgt sich
bestimmt in zwei entgegengesetzten Bedürfnissen im Menschen, der
Sehnsucht nach Aufruhr wie der nach Ruhe. Uschi Glas revoluzzt wie
Uschi Obermaier früher, als die Blöße in Kommunekreisen sowas wie eine
Pflicht war und schon ein Erscheinen in Shorts schlimme Verwünschungen
aus dem Kreis der anderen hervorrief: "Zieh die Hose aus, du Schwein!"
Andererseits sucht er doch immer die Mitte, der Mensch, und
präsentiert er nicht auch deshalb seinen Bauch, um zu zeigen, dass er
sie, wenn nicht in der Gesellschaft, dann wenigstens in sich gefunden
hat? Könnte man soweit gehen, zu sagen: der Nabel ist die Neue Mitte?
Na, das sind aber gewagte Thesen. So wenig Klamotten und so viele
Fragen. Mutter Beimer aus der Lindenstraße hat eine Antwort. Die
Bilder von Frau Glas, sagt sie in Bild, sind "brutal". Der Hai hat
eine Antwort, sie ist endgültig. Auch Coco Chanel, Erfinderin des
"Kleinen Schwarzen", hat eine Antwort: "Lebenskunst ist die Kunst des
richtigen Weglassens." Aber das versteht jetzt wieder kein Mensch.