(SZ) Erinnern Sie sich noch daran, wie es war, wenn es plötzlich
  schellte und vor der Tür stand der Telegrammbote? Konnte einem da
  nicht mit Macht der Schrecken in die Glieder fahren? Denn wie der
  Briefträger den Alltag, so repräsentierte im Reich der Post der
  Telegrammbote den Ausnahmezustand. War nicht sogar das Überwältigende
  der Glücksmomente, die er den Liebenden bescherte, wenn er ihnen ein
  unverhofftes Treffen ankündigte, daran gebunden, dass er ebenso gut
  der Unglücksbote hätte sein können? Konnten nicht ganze Familien
  erbleichend erstarren, wenn der Jüngste ins Wohnzimmer zurückkam und
  aufgeregt krähte: Es ist der Telegrammbote! Man wusste ja nie, ob er
  einem im verschlossenen Umschlag das verschmerzbare ANKOMME MORGEN
  STOP 10 UHR 37 STOP der Tante entgegenstreckte oder einen plötzlichen
  Tod.

  Ja, Sie haben richtig gelesen: Der Telegrammbote existiert nur noch im
  Imperfekt. Er war einmal. Am frühen Vormittag des nunmehr historischen
  20. Mai 2003 hat die Deutsche Post in Gestalt einer charmanten Fee
  bekannt gegeben, dass Telegramme künftig nicht mehr sofort, sondern
  erst mit der normalen Post zugestellt werden. Die Fee hat das als
  unscheinbare "Änderung beim Telegramm- Service" annonciert. Es handelt
  sich aber in Wahrheit um einen epochalen Vorgang: die
  Entschrecklichung des Telegramms durch das Verschwinden des
  Telegrammboten. Indem er mit dem Briefträger verschmilzt, geht seiner
  Botschaft die dramatische Dringlichkeit und ihm selbst die Aura
  verloren, die ihn als plötzlich auftauchende Figur des postalischen
  Ausnahmezustandes umgab. Die eilige Nachricht braucht ihren alten
  Träger nicht mehr. Dafür, so die Post- Fee, bevorzugten die Kunden Fax
  und E-Mail. Gefragt sei nur noch das "Telegramm für besondere
  Anlässe". Dieses neue Telegramm, das mit der normalen Post kommt, wird
  vor allem eines sein: Schmucktelegramm, Glückwunsch, zweidimensionaler
  Blumenstrauß.

  Zugegeben,Glückwunsch zur Beförderung, alter Schwede! hat was
  Aufmunterndes. Aber so ist das mit guten Nachrichten: Kaum hat man sie
  erhalten, schon misstraut man ihnen. So winken wir, statt der Post für
  die Entdramatisierung des Telegrammwesens und die menschenfreundliche
  Entdeckung der Langsamkeit zu danken, dem im Briefträger
  verschwundenen Telegrammboten nach und argwöhnen, das fleuropmäßig
  entschrecklichte Telegramm werde am Ende nur noch schales Glück
  enthalten. Ach, und was wird aus den dramatischen Pointen des
  Telegrammstils, was aus seinen philosophischen Abgründen, in die Jean
  Paul Sartre schaute, als er die Nachricht übermittelte: GOTT TOT STOP
  KEIN TESTAMENT STOP. Schöne Fee der Deutschen Post, wir hören Deine
  frohe Botschaft und lächeln unter Tränen.