(SZ)Dieser Tage unterbrach ein sehr seriöser Herr, der sich
  hauptamtlich mit dem schönen Thema der Gemeindefinanzen befasst,
  plötzlich seine Darlegungen über das Konnexitätsprinzip und die
  Gewerbesteuermodernisierung und begann, in Bildern zu sprechen. Und in
  diesen Bildern war von einem Drachen die Rede, der nur darauf lauere,
  jene, die auf dem Pfad des Fortschritts marschierten - wie der Redner
  selbst - , hinterrücks anzufallen und ihre guten Taten zu verderben.
  Da staunten die anderen sehr seriösen Herren im Kongress-Publikum,
  doch einer rief: "Frau Mahlzahn!"

  So wirkmächtig kann im Gedächtnis bleiben, was wirklich bedeutsam ist
  fürs Leben. Frau Mahlzahn! Der böse Drache aus der Augsburger
  Puppenkiste, der Kinder fängt und in der Drachenschule zu Kummerland
  auf eine Weise für dieses Leben lernen lässt, die sich anderswo
  höchstens in den erziehungspolitischen Wünschen der CDU/CSU findet.
  "Kinder müssen lerrrrrnen", schreit der Drache, "sonst setzt es Hiebe!
  Hiebe sind gesund!" Wir aber stellen uns vor, Frau Mahlzahn lauerte
  den Finanzexperten auf und schleppte sie allesamt nach Kummerland:
  "Experten dürrrrrfen niemand müde rrrreden, sonst ..."- siehe oben.
  Aber ach, es ist ruhig geworden um den alten Drachen. Frau Mahlzahn
  verbringt in einem Augsburger Fundus ein ruhiges Leben als
  pensionierte Lehrerin, in einträchtiger Gesellschaft immerhin all
  ihrer Bekannten von damals, ihrer Bezwinger Jim und Lukas, des Katers
  Mikesch, von Urmel aus dem Eis sowie, ihr wesensnäher, von Bill Bo und
  seiner Bande.

  Diese wilde Schar ist nun mutterlos, denn Hannelore Marschall-
  Oehmichen, Schöpferin von 6000 Marionetten, ist gestorben. Ihre
  Puppenkiste zu Augsburg war auch eine Schule fürs Leben. Sie lehrte
  mit Bill Bos Räubern die nötige Respektlosigkeit den Behörden
  gegenüber ("... und weil man sie nicht fangen kann, hängt keiner am
  Galgen dran"), mit den Blechsoldaten Skepsis angesichts der
  Verlockungen des Militärs und mit Jim Knopf, dem schwarzen Jungen aus
  Lummerland, Furchtlosigkeit vor den Drachen dieser Welt ("Einen
  Augenblick, Frau Mahlzahn!"). All das war damals, als Familie
  Oehmichen mit einer Kiste voller Puppen im zerbombten Augsburg
  auftrat, gar nicht selbstverständlich. Väter, deren Jugendbücher Titel
  wie "Die Schlacht am Skagerrak" getragen hatten, beäugten jeden
  Sonntagmorgen im Fernsehen noch lange misstrauisch die Helden ihrer
  eigenen Kinder, die an Fäden gezogenen Geschöpfe der Familie
  Oehmichen: Lokomotivführer und Löwen, Aussteiger und Piraten oder gar
  das Negerkind Jim. Und einen melancholischen See-Elefanten, der sang:
  "Öch weiß nöcht, was soll es bedöuten, dass öch so trau-hau-rög
  bön...". Jetzt ist die Mutter der Puppen tot. Und wir wissen, warum
  wir sehr trau-hau-rög sind.