(SZ)Schreiben heute auf einer hölzernen Parkbank auf dem
Hausvogteiplatz, Berlin-Mitte. Daneben ein grauer Papierkorb, für den
Text, falls er nicht gelingt. Neben der Bank sieben weitere Parkbänke
und Papierkörbe. Die Bänke und Körbe bilden einen Kreis. Inmitten
dieses Kreises aber befindet sich ein Brunnen ohne Wasser, eine
riesige trockene Schale. Verloren ragt eine metallene Blätterkrone aus
dem Bassin, in dem braune Haufen Blütenstaubs sowie vom Sturm
abgerissene kleine Äste liegen, lauter Zeichen einer Zwischenzeit.
Etwas ist vorbei, etwas hat noch nicht begonnen. Was?
Na, vorbei sind aufregende Jahrhunderte. Ab 1657 ließ der Große
Kurfürst Berlin zur Festung ausbauen, mit 13 Bastionen. Dies hier war
Bastion III. Und Numero III hieß bald Hausvogteiplatz, weil ein
Untersuchungsgefängnis eingerichtet wurde, gängiger Satz damals: "Wer
die Wahrheit weiß und saget sie frei, der kommt in die Hausvogtei."
Das Volk aber sprach ebenso vom Schinkenplatz, denn erstens erinnerte
die Form des Platzes an einen Schinken, zweitens hatten sich
Schlachtereien angesiedelt, und drittens wohnten einige nicht so
ehrbare Frauen hier, Schinken. Lange her. Und, ist es ehrbarer jetzt?
Keine Ahnung. Wahrscheinlich nicht. SAT1, BB-Bank und Helvetia-
Versicherung residieren nun am Ort, spucken von hier ausgeklügelte,
schnittige Programme und smarte, wie aufgezogen funktionierende
Mitarbeiter aus, dieser streng strukturierte Platz mit seinen vielen
Geschichten könnte schön sein und ist es doch nicht.
Aber er wird schön werden. Einmal wird er, wie einst zur großen
Schinkenzeit, das irre, pralle, süchtige Leben anziehen. Wir kennen
auch schon den Tag. Er ist nicht mehr fern, ist ganz nah, es ist der
20. Juni dieses Jahres, an jenem Tag wird Anita Ekberg kommen und den
Brunnen neu einweihen, der seit dem letzten Krieg nicht mehr
gesprudelt hat. Gut, gut, Ekberg ist jetzt 71 und hat bei Rom eine
Autovermietung, und Fellini ist tot, und wir sind auch nicht mehr in
bester Form; wenn wir, mit dem Rücken zum Trevi- Brunnen stehend, eine
Münze hineinzuwerfen versuchen, verrenken wir uns gleich die Schulter,
aber bitte, dafür haben wir Erfahrung, Phantasie und - wieso nur,
wieso? - unerschütterlichen Optimismus. Wir wissen, dass es am 20.Juni
hier an der Hausvogtei zugehen wird wie bei Cranach dem Älteren, wie
im Jungbrunnen. Anita Ekberg, faltige Haut, tapsiger Schritt, wird ins
Wasser steigen, wird ein wenig plantschen und dann mit glattem Gesicht
und schwingendem Körper und goldenem Haar wieder aus der Fontäne
treten, unter der sich, ihrem Beispiel folgend, von nun an in jeder
Nacht, in jeder, Menschen aus aller Herren Länder aneinander drängen
werden, die Hausvogtei wird, das ist vorhersehbar, zum Nabel der Welt,
acht Bänke gibt es, und eine Bank ist schon mal belegt.