(SZ) Es wäre schön, ein Fadenwurm zu sein, vor allem wenn man in
Berlin leben muss. Der Fadenwurm, caenorhabditis elegans (!), nämlich
ist ein glückliches Wesen, wüsste er denn, was Glück ist. Er besteht
aus 959 Körperzellen, hat kein Gehirn und spürt keine Verantwortung,
Schuld oder gar Liebe. Er hat also die besten Voraussetzungen, nicht
unglücklich zu sein. Außerdem ist er enorm widerstandsfähig. Aus Cape
Canaveral kommt die Nachricht, dass Tausende Fadenwürmer den Absturz
der Raumfähre Columbia, die es Anfang Februar über Amerika ganz
grässlich zerlegt hat, überlebt haben. Man wollte eigentlich nur
wissen, wie sich die Schwerelosigkeit auf jene Würmer auswirkt. Jetzt
weiß man, dass sie sogar mit dem flammenden Inferno zurecht kommen.
Sie leiden nicht einmal unter posttraumatischem Stress, weil ihnen
sowohl das Trauma als auch der Stress fremd sind. Glückliche Würmer.
Die Fadenwürmer wären die idealen Berliner. Als Mensch kann man in
dieser Stadt eigentlich nicht mehr auf die Straße gehen. Verlässt man
wider besseres Wissen die Wohnung und steigt in den Bus, wird der mit
einiger Wahrscheinlichkeit von irgendeinem Verrückten entführt. Will
man dem ausweichen und nimmt die U-Bahn, ist man singenden Russen,
zeitungsverkaufenden Pennern, kaum bekleideten Neuköllnerinen sowie
deren pöbelnden Begleitern ausgesetzt. Mit dem Auto fährt man sowieso
nicht, weil die örtlichen Kraftfahrer sich grundsätzlich so verhalten
wie die Marines in Falludscha. Parken sollte man seinen PKW auch
nicht, vor allem nicht Anfang Mai, denn da gibt es den
hauptstädtischen Volksbrauch, abgestellte Autos anzuzünden. Die
Polizei guckt dabei zu und nennt dies Deeskalation.
Geht man in Berlin zu Fuß, ist es auch nicht besser. Entweder wird man
überfahren und dafür auch noch beschimpft ("kannste nich uffpassn,
Flitzpiepe"). Oder man wird vom Tag und Nacht fließenden Strom der
Touristen zermalmt, der sich vor allem durch Mitte wälzt, schwäbisch
oder sächsisch spricht, Unrat hinterlässt und insgesamt sehr
effenbergisch ist. Versucht man, den Touroristen zu entgehen, gerät
man unweigerlich in irgendeine Demonstration. Von den Zahnärzten über
die Beamten bis zu den Nazis kommen alle, die ein Anliegen zu haben
glauben, nach Berlin, trillern auf Pfeifen und halten dort, wo man
gerade einkaufen möchte, Abschlusskundgebungen. Flüchtet man sich vor
alledem in eine Kneipe, sitzen dort Udo Walz, Sabine Christiansen und
Klaus Wowereit oder zumindest Leute, die ohne weiteres einer von den
dreien sein könnten. Da wünscht man sich dann, in Freiburg oder
Röhrmoos zu wohnen oder, wenn das nicht geht, wenigstens aus nur 959
Zellen zu bestehen. Dann nämlich könnte man nicht nur den
Columbia-Absturz, sondern wahrscheinlich sogar Berlin überleben.