(SZ)Wenn einer aus Altötting kommt, dann hat er, möchte man meinen,
  ein ausgewogenes, vielleicht souveränes, möglicherweise auch
  humoristisches Verhältnis zum Tod. Das liegt am Tod von Altötting
  vulgo "Doud z' Äding", einem hölzernen Sensenmann, der im heiligen
  Inventarium des Wallfahrtsortes einen soliden Mittelrang innehat. Seit
  vier Jahrhunderten steht er in der Stiftskirche hoch oben auf einer
  Uhr und mäht im Sekundentakt vor sich hin, jeder Schnitt ein Toter.
  Die Altöttinger sind an ihn gewöhnt wie an einen Spezl, rechnen sich
  sogar einen gewissen Heimvorteil aus: Bei der riesigen Ernte, die er
  weltweit einzubringen hat, und bei dem Tempo könnte es für sie noch
  gute Weile haben. Herbert Riehl-Heyse, unter uns Ko llegen "der
  Riehl", war Altöttinger genug, um an solch halbfrommen Lebensscherzen
  seinen Spaß zu haben. Ebenso wahr ist aber, dass wir anderen jetzt, da
  ihn der Tod aus unserer Mitte hinweggemäht hat, in keiner Weise
  Philosophen genug sind, um das mit Gelassenheit zu nehmen.

  Für Riehl selbst war der Sensenmann da oben auf der Uhr freilich von
  Kind auf etwas weit Realeres, etwas furchtbar Realeres als ein uralt
  befreundetes Schreckgespenst. Nur ein paar Meter von dieser Uhr
  entfernt, im Hof des einstigen Landratsamts, erschoss die SS in den
  letzten Kriegstagen fünf Altöttinger Bürger, die versucht hatten, eine
  sinnlose Verteidigung ihrer kleinen Stadt vor den heranrückenden
  US-Truppen zu verhindern. Riehls Vater war einer von den fünfen. Dass
  der Ort der Hinrichtung später überbaut und als Kapelle in den -
  hoffentlich reinigenden - Dunstkreis der Kirche einbezogen wurde, war
  für den Sohn zwar ein sinnstiftender Akt, aber keine dauerhafte
  Befreiung von der Frage, woher die menschliche Bosheit rührt und wieso
  sie oft derart ungeniert werkeln und wirken kann, als gäb's keine
  höheren Mächte.

  Auf dem Acker des Streiflichts hat der Riehl manche Furche in diesem
  Sinn gezogen, doch bewahrte ihn sein "Altöttinger Gefühl", eine Art
  Trittsicherheit auf den Hochmooren von Pathos und Moral, dabei vor
  melodramatischen Peinlichkeiten. In der engen Heimeligkeit seiner
  Heimatstadt hatte er es sich angewöhnt, die großen Dinge, Gott etwa
  und die Mutter Kirche, unter Berücksichtigung des zeitlichen Lebens zu
  sehen. So zum Beispiel wusste er den Nutzen abendlicher Gottesdienste
  aufs Anschaulichste auch damit zu begründen, dass durch sie heimliche
  Liebschaften und ähnlich gottgefällige Werke gefördert würden. Dieses
  altbayerische Understatement, das vor fremder Allüre ebenso schützt
  wie vor Selbstüberhebung, war Riehl-Heyse in hohem Maße gegeben; der
  schlagfertige Witz, mit dem er ebenfalls reich gesegnet war, sorgte
  dafür, dass aus all dem nichts Behäbiges und Ungefähres erwuchs,
  sondern jene trefflichen Texte, die uns nun ebenso fehlen wie er
  selbst. Servus, Riehl!