(SZ)Wohl dem, der dieser Tage Karten für den "Parsifal" hat und sich
  in parareligiöser Inbrunst daran erbauen kann, wie der kranke Amfortas
  den heiligen Gral besingt: "Des Weihgefäßes göttlicher Gehalt/ erglüht
  mit leuchtender Gewalt; -/ durchzückt/ von seligsten Genusses
  Schmerz..." So geht das noch eine ganze Weile weiter, bis es in
  Wagners Regieanweisungen heißt: "Er sinkt wie bewusstlos zurück", was
  für die Zuschauer ebenso gelten mag wie für Amfortas. Jedermann glaubt
  den Gral zu kennen, sei es aus dieser Oper, sei es aus Ritter
  Lohengrins silbrig glänzender Gralserzählung. Genaueres erfährt man
  freilich nur schwer. Selbst der reine Tor Parsifal erhält auf sein:
  "Wer ist der Gral?" von Gurnemanz zunächst die Antwort: "Das sagt sich
  nicht", doch da er ein von Haus aus Erwählter ist und später sogar zum
  Gralskönig aufsteigt, wird es sich ihm wahrscheinlich schon irgendwann
  gesagt haben. Ihm. Uns nicht.

  Wir stützen uns deswegen auf außerhalb der Gralsburg Munsalvaesche
  gelegene, auch Nicht-Gralsrittern zugängliche Quellen, zum Beispiel
  auf das Lexikon. Dieses lehrt uns, dass der Gral die Schale sei,
  woraus Jesus beim letzten Abendmahl gegessen und getrunken hat,
  möglicherweise auch die Schale, mit der Joseph von Arimathäa das Blut
  des gekreuzigten Jesus aufgefangen hat, wahrscheinlich und
  sinnigerweise jedoch beides zugleich. Dass der Schale gewaltige
  Wunderkraft innewohnt, versteht sich bei dieser Herkunft von selbst.
  Allein ihr Anblick verleiht Gesundheit und Jugend auf 200 Jahre - ein
  zugegebenermaßen etwas willkürlicher Zeitrahmen, doch wer von uns
  würde nicht sofort zugreifen! Jeden Karfreitag kommt eine Taube, um
  die Wirkkraft des Grals zu erneuern, ein heiliges Update sozusagen.
  "Alljährlich naht vom Himmel eine Taube", singt Lohengrin, und Leo
  Slezak machte daraus: "Alljährlich naht von München her ein Tauber",
  was auf den Tenor Richard Tauber zielte, der Slezak gern in
  Rottach-Egern besuchte und dann nur schwer wieder loszubringen war.

  Kürzlich stellte der Düsseldorfer Historiker Michael Hesemann neue
  Erkenntnisse zum Gral vor. Demnach hat es ihn, ein kostbares
  Steingefäß aus Achat, nach Valencia verschlagen, wo er seit gut einem
  Jahrtausend verehrt wird. Da Hesemann als Experte für
  Grenzwissenschaften und außerirdische Phänomene gilt - er hat sich
  schon zum Weltuntergang, zu den Ufos und den Kornkreisen sowie zur
  "Geheimsache Fatima" kompetent geäußert - , scheint der Gral bei ihm
  genau in den richtigen Händen zu sein. Wie Ufos, Kornkreise, Fatima
  und Weltuntergang hat der Gral den Vorteil, dass man nicht daran
  glauben muss, aber kann. Insofern ist, wer auf 200 Jahre Jugend Wert
  legt und für Ostern sonst noch nichts vorhat, vielleicht ganz gut
  beraten, wenn er mal kurz nach Valencia runterbrummt.