(SZ)Der Text auf der alten Anzeigetafel lautet: "Dem deutschen Volke".
  Und das deutsche Volk begriff. Irgendwann begriff es. Strömte auf den
  Rasen vor dem Reichstag, packte aus Rucksäcken Bälle, markierte mit
  den Rucksäcken Tore und spielte Fußball, Jahr für Jahr, Tag für Tag.
  In den Pausen rauchte es Ernte 23 und trank Caprisonne und Kindlbier,
  und natürlich räumte es nie - oder fast nie - die Stummel und die
  Tüten und die Flaschen weg, so war es, das Volk, so unordentlich, ach,
  wie schön sich das schreibt: Das deutsche Volk war, während es auf der
  Brache vor dem Reichstag Ball spielte, ganz unordentlich.

  Spielte? War? Ist es denn vorbei? Noch nicht. Aber am Montag wird es
  vorbei sein, ab Montag wird das Bezirksamt Berlin-Mitte 50 Euro
  Bußgeld fürs Fußballspielen vor dem Reichstag erheben. Es spricht von
  Krokussen, die zertreten, und Bewässerungsanlagen, die zerstört
  würden. Vor allem aber spricht es von einer Grünfläche mit "besonderer
  Bedeutung für die Darstellung unseres Landes", denn der Rasen liegt
  nun im Regierungsviertel, in der staatstragendsten Meile der Republik,
  so seltsam betoniert hier alles, die Büros, Frisuren, Meinungen, so
  seltsam getönt die Autoscheiben, Kostüme, Blicke. Wie erfreulich für
  unser aller Selbstverständnis wäre da ein fleckiger Ball mit
  Rasenkrümeln dran, ein Irrläufer, der plötzlich an eine Wand prallte
  und von da an Merkels Hinterkopf, ja warum nicht dahin, und von dort
  vielleicht an Westerwelles Brust. Verlöre Westerwelle kurz seine
  sorgsam antrainierte Kontrolle? Keine Zeit, das zu beobachten, denn
  schon ploppte der Ball an einen Fahnenmast, der klirrte, der so leise
  sänge wie ein zu Boden fallender Eissplitter, und schon flöge er
  weiter, der Ball, in einer endlosen unvorhersehbaren, also
  entzückenden Bewegung.

  Was kann das Volk jetzt, da ihm eilfertige Beamte die schönste
  Spielwiese gesperrt haben, noch tun? Folgendes: Am Tag die Ruhe
  bewahren. Die Arbeit nicht niederlegen. Nachts aber, unter Flutlicht,
  sich versammeln. Rüber zum Kanzleramt laufen. Das Codewort
  hinaufrufen, es gibt nämlich ein Codewort. Acker! Acker, komm runter!
  Kaum, dass der Ruf verhallt ist, wird sich die ehemalige Nummer 9 des
  TuS Talle, der wuchtige, den Rasen pflügende Mittelstürmer G.
  Schröder, auf dem Balkon zeigen, denn wie ein fiebernder Junge hatte
  er schon hinter der Scheibe gestanden, hatte gewartet, dass man ihn
  ruft. Acker Schröder wird sich begierig, wie ausgehungert, den Ball
  schnappen. Und siehe, Bezirksamtsbeamte werden plötzlich Beifall
  klatschen, Strafzettel in Schnipsel reißen und Schnipsel auf den Rasen
  regnen lassen. Einige werden sogar mitspielen wollen! Diese
  Oberrenegaten aber zappeln lassen, mit dem alten Kinderspruch:
  Mannschaften sind schon voll. Morgen vielleicht. Könnt ja morgen
  nochmal sehn.