(SZ) War einmal ein kleines Königreich, das reichte vom Rhein bis nach
Barby an der Elbe, von dort bis nach Kurhessen, denn seine Hauptstadt
war Kassel. Das kleine Königreich war die Filiale eines dicken
Kaiserreiches, ausersehen, ein Musterland zu sein. Also machte der
große Kaiser seinen jüngsten Bruder, getauft auf den Namen Hieronymus,
zum kleinen König. Weil man fürchtete, die Unterthanen könnten seiner
spotten, bestieg Brüderchen den Thron als König Jérôme - Jérôme von
Westphahlen. Und von Napoleons Gnaden, denn der war der große Bruder.
Das kleine Königreich gab's kaum sechs Jahre, von 1806 bis 1813, und
eigentlich war es Fremdherrschaft. Aber den Leuten in den
westphälischen Kernlanden und etwas drumherum ging's nicht so
schlecht. König Jérôme Bonaparte residierte herrlich, in, man glaubt
es kaum: Kassel, brachte seine Apanage unter die Leute, während die
Bürger bekamen, was sie als Deutsche zuvor nicht hatten. Gleichheit
vor dem Gesetz, Aufhebung aller Vorrechte, Religionsfreiheit, und den
Code Napoleon. Zur Strafe für Kollaboration mit dem seinerzeitigen
Erbfeind - unserem heutigen Herz- und Friedensbruder Frankreich - ist
1815 aus dem kleinen Königreich die preußische Provinz Westfalen
geschnitzt worden, Ein Dreieck. Und jetzt? Seit Weltkrieg Zwo
erscheint unser ehem. kleines Königreich bloß noch als Anhängsel nach
einem Bindestrich. Als existenzielles Nichts. Nordrhein-Westfalen.
NR-Weh! Nie verwunden . . .
Glücklicherweise ist Re-Naturierungszeit, Re-Provinzialisierung, weil
das große Ganze, Vereinigte, das Globale gar als schwer bekömmlich
sich erwiesen hat. Subsidiarität, Kleineinheit sei's Panier. Darum
hebt eine "Westfaleninitiative" ihr Haupt, zur Schärfung westfälischen
Bewusstseins. Eine Studie jener Vereinigung legt nahe, dass Westfalen
"als Marke" entwickelt werden sollte. Was aber ist Westfalen? Folgen
wir traditioneller Führung, dann ist Westfalen a) Münsterland b)
Sauerland c) Paderborn. Sauerländer (Beispiele: Müntefering, SPD,
Friedrich Merz, CDU) gelten als langbewimperte, rastlos- glückliche
Spekulanten. Die Paderbörner (Beispiel: Laurenz Meyer, CDU) sind
zumeist des "Besprechens" fähig, einer sehr alten Zauberei, neigen
anderseits zu übereilten Heiraten.
Unsere Lieblinge aber? Die Münsterländer. Die sie umgebende laue und
feuchte Luft stimmt sie träumerisch. Sie beten den Rosenkranz aus dem
Gedächtnis und besitzen die Gabe des "Vorgesichts" - jenes Zweiten
Gesichts, welches Zukunft weissagt, verschlüsselt-unheimlich.
Zugegeben, solche westfälischen Spezialitäten verdanken wir nicht
eigener Forschung, sondern einer wunderbaren Münsterländerin, Annette
von Droste-Hülshoff, aufgeschrieben um 1840. Aber wahr bis auf diesen
Tag. Jawohl, jenes Westfalen sollte auferstehen.