(SZ)Der Winter zeigt, wie es eine Nachrichtenagentur formuliert, "noch
  einmal seine Krallen", und wir stehen nicht an, mit Wowereit und
  anderen zu sagen: Das ist auch gut so. Natürlich wird der Frühling in
  seiner unbekümmerten Art, um nicht zu sagen: seiner brutalen Naivität,
  den Sieg über "General Winter" davontragen, und in dem von ihm
  bereiteten Nest werden es sich später der bräsige Sommer und der
  liederliche Herbst gemütlich machen. Nichtsdestoweniger sei das oft
  fehlgeleitete Lob der Jahreszeiten heute dem Winter und seinen Krallen
  gesungen, und zwar aus der Sicht einer Spezies, die allen Grund hat,
  sich als gesellschaftliche Randgruppe zu fühlen, wobei ihre
  Mitglieder, für Randgruppen nicht untypisch, ihren sozialen und
  geistigen Ort eher bei den Eliten sähen. Die Rede ist von den Winter-
  Radfahrern, die jetzt, vom Aufbäumen ihrer Jahreszeit begünstigt, für
  ein paar letzte kurze Tage die uneingeschränkten Herren ihrer Wege
  sein können. Dann kommen die Sommer-Radler endgültig aus ihren
  Löchern.

  Um die Freuden des winterlichen Radfahrens adäquat zu beschreiben,
  bräuchte man einen neuen Friedrich Gottlieb Klopstock: "Wie schweigt
  um uns das weiße Gefild! / Wie ertönt vom jungen Froste die Bahn!" Das
  ist auf den Eislauf gemünzt, passt aber auch auf die Idealsituation
  des Winter-Radlers, mag in der Realität sein Gefild gleich vom Lärm
  der Autos durchbraust sein und seine Bahn weniger vom Froste ertönen
  als von dem Knirschen, das entsteht, wenn er von einer gefrorenen
  Eisspur in die andere zu springen genötigt ist. Städte wie München
  sehen sich nämlich nicht in der Lage, die Radwege zu räumen,
  wahrscheinlich weil sie sich sagen, dass die paar Hansel, die den
  Winter über mit dem Rad fahren, auch hart genug sind, allfällige
  Stürze wegzustecken. Die Betroffenen quittieren das mit der stolzen
  Verachtung, die schon Don Quixote befähigte, mit der widrigen
  Wirklichkeit fertig zu werden. So reiten sie durch den Winter, in
  dickes Wollzeug gehüllt, aufrecht, unbeirrbar, und mit Schrecken, den
  sie stoisch zu verbergen wissen, sehen sie den so genannten schönen
  Tagen entgegen, da sich Tausende von frischen, fröhlichen, ungeübten
  und oft dummen Sancho Pansas zu ihnen gesellen werden. Nun ja, der
  nächste Winter kommt bestimmt...

  Bis dahin sollte man eruieren, in welcher Kategorie prozentual die
  meisten Rowdys anzutreffen sind. Unserem Gefühl nach bei den
  Sommer-Radlern, weil denen erstens die Wohltemperiertheit aller vier
  Jahreszeiten fehlt und weil sie zweitens in solchen Mengen auftreten,
  dass sie notgedrungen so was wie Killerinstinkte entwickeln. Man
  erkennt diese Typen an den breiten, hornförmig aufgebogenen Lenkern,
  mit denen sie den Eindruck zu erwecken suchen, als ritten sie den
  Stier. Da sie nach wie vor auf Drahteseln sitzen, ist das nicht ohne
  Komik.