(SZ)Glauben heißt, nicht zu zweifeln an dem, was wir nicht sehen. So
unschön doppelt verneinend bimste es Paulus in einem langen Brief den
Hebräern ein. Als prototypisch Ungläubiger hingegen gilt der Apostel
Thomas. Er forderte eine konkrete Beschau und glaubte an Christi
leibliche Auferstehung erst, nachdem er seine Hand in dessen
Lanzenwunde gelegt hatte. Hinweise darauf, welche der beiden Haltungen
derzeit höher im Kurs steht, gibt der Alltag. Glaubt das Finanzamt
unbesehen der Behauptung des Steuerzahlers, er habe im abgelaufenen
Jahr fast täglich einen Geschäftspartner bewirtet? Nein, das Finanzamt
will Belege für jedes einzelne absetzbare Geschäftsessen, und wehe, da
erscheint ein Kinderteller auf der Rechnung. Glauben Fußballtrainer
einfach so, dass ihr Spieler im Abseits stand, als er den Ball in des
Gegners Tor schob? Nein, Fußballtrainer fordern bei solchen
Gelegenheiten regelmäßig, den Fernsehbeweis einzuführen.
Doch hier bleibt der Hardcore-Skeptiker stecken: Ist das Kompositum
"Fernsehbeweis" nicht ein Widerspruch in sich? Was beweist das
Fernsehen denn? Robuste tele-positivistische Naturen wie Peter
Limbourg, der Chefredakteur des News-Senders N24, glauben freilich,
dass man nicht "alles relativieren" dürfe, was täglich an Nachrichten
aus dem Golf herüberschwappt, dass man ruhig auch mal eine
"durchstecken", also ungeprüft übernehmen könne. Nach dieser Maxime
verfuhren auch die Chefs des Rundfunks von Swasiland. Sie übernahmen
ungeprüft Live-Berichte, die ein Mitarbeiter vorgeblich aus Bagdad
schickte. In Wirklichkeit saß der Mann die ganze Zeit daheim und
erzählte, was er im Fernsehen sah. Jetzt beschäftigt sich das
swasiländische Parlament mit der Frage, "wie es zur Täuschung der
Öffentlichkeit kommen konnte".
Aber inwiefern täuschte der heimatverbundene Korrespondent die
Öffentlichkeit? Er log ja nur, was seinen Aufenthaltsort anging. Nach
allem, was wir wissen, erfand er jedoch nichts hinzu bei seinen
Berichten aus dritter Hand, sondern schaltete sich beim "Durchstecken"
lediglich als weitere Instanz dazwischen. Früher soll es deutsche
Kriegsberichterstatter gegeben haben, die in die Umgebung der
jeweiligen Krisenregion fuhren und ihr Hotel nur verließen, um sich
für ihre Reportagen vor einem möglichst authentischen, von den Kämpfen
aber weit entfernten Wüstenhintergrund filmen zu lassen. Das war
radikal unabhängige
Berichterstattung: unabhängig von den Fernsehbildern anderer,
unabhängig aber leider auch vom Geschehen. Die abhängige
Berichterstattung der eingebetteten Reporter und ihrer Durchstecker
ist vielleicht das kleinere Übel. Man begegne ihr aber mit einem
Skeptizismus, welcher den des Thomas noch übertrifft. Nichtglauben
heißt jetzt, auch an dem zu zweifeln, was wir sehen.