(SZ)Wie schön wäre jetzt ein Gespräch über Zedern! Über ihre
Geschichte, ihre Gerüche und ihre Wohlgestalt. Aber natürlich auch
über ihre Tücken und ihre Angriffslust: Ganz Tokio zum Beispiel leidet
in diesen frühen Frühlingstagen wieder unter den furiosen
Pollenattacken des immergrünen Baumes. Und jedes Jahr in dieser
Jahreszeit haben wir, die deutschen Allergiker, mit unseren
japanischen Freunden Leidensgeschichten ausgetauscht. Ihr und eure
Zedern, wir und unsere Birken: Welches Martyrium mag wohl das
schlimmere sein? Dieses Jahr finden solche guten, tröstenden Gespräche
nicht statt. Der Japaner niest - aber er redet nicht darüber. Der
Deutsche reibt sich die juckenden, blutroten Augen - aber er redet
nicht darüber. Wir alle reden, worüber jetzt alle reden. Wir klagen,
worüber alle klagen. Ein Heulen und Zetern über Birken und Zedern käme
uns ziemlich lächerlich vor.
Der Krieg ist keine gute Zeit für das Selbstmitleid. Ausgejammert
haben bis auf Weiteres alle, denen das Jammern eine liebe Gewohnheit
geworden ist. Niemand interessiert sich jetzt für die Triefaugen der
Pollenopfer. Niemand will etwas hören über die geheimnisvollen,
quälenden Schmerzen des Hypochonders. Niemand ist neugierig auf die
Herzensergüsse der vom Gott Amor Besiegten, der ewigen
Liebeskümmerlinge. Ja habt ihr denn, so fragen wir streng in die
vertrauten Klagegesänge hinein, keine anderen Sorgen? Nicht einmal der
mit Wollust nörgelnde kleine Angestellte findet Gehör und Mitleid,
wenn er sich über seinen cholerischen, notorisch übellaunigen
Abteilungsleiter beschwert. Der Mann mag ja ein Ekelpaket sein. Aber,
kein Zweifel: Immer noch besser als Saddam!
Was aber wird aus dem armen Menschen, wenn er sich nur noch fanatisch
mit dem Kriege beschäftigt - und nicht mehr mit dem
wehrkraftzersetzenden Phänomen namens Kunst? Wenn er keine Gedichte
mehr liest, nur noch Leitartikel? Wenn er sich abendlich nicht mehr
von Goethe belehren lässt, sondern vom Herrn Reinhardt, dem strammen
General a.D.? Wenn er nicht mehr Mozarts Zauberklängen lauscht,
sondern dem heiseren Scholl-Latour? Krieg macht tot, erstens. Krieg
tut gut, zweitens - wenn man das Privileg hat, weit genug von ihm weg
zu sein, mit Leib und mit Seele. Weil man von den nur eingebildeten
Leiden erstmal erlöst ist. Aber, drittens: Macht Krieg nicht auch
stumpf? Sind Egomanie, Nervenschwäche und Leidenslust nicht die
tiefsten Quellen für alle Poesie? Ohne Gejammer kein Gesang, könnte
der Hypochonder behaupten. Ohne Angst keine Kunst. "Vorüber, ach
vorüber / Geh wilder Knochenmann!", sagt das furchtsame Mädchen zum
Tod. Das ist ein Lied. "Wir werden siegen, we will prevail!", sagen
der furchtlose Krieger und sein furchtloser, ferner Kriegsherr. Das
klingt stark. Ein Gedicht ist es nicht.